Einleitung:

Schon wieder ein Film über die Favelas in Rio de Janeiro? – Denkt sich der erfahrene Cineast und noch dazu: Was soll denn nach „City of God“ und „City of Men“ überhaupt noch kommen, was diese beiden Meisterwerke übertreffen könnte? Die Antwort lautet: Ein knallharter, gnadenloser Cop-Thriller über die Elite-Spezialeinheit „BOPE“ (Batalhà£o de Operaçàµes Policiais Especiais or Special Police Operations Battalion), die sich immer wieder in gefährlichen Einsätzen in die von mafiösen und skrupellosen Strukturen dominierten Favelas wagen. Das Kunststück dieses Thrill-Dramas ist, das hier (anders als in „City of God“ und „City of Men“) aus der Perspektivik der paramilitärischen Polizei, und nicht aus der Sicht der Drogen-Gangsterbanden, erzählt wird. Genau dieser Fakt fasziniert so sehr an „Elite Squad“, auch wenn die Erzählung im Grunde genommen kein Novum darstellt …

Inhalt:

Rio De Janeiro, 1997: Der Papst soll bald zu Besuch kommen und will ausgerechnet in der Nähe eines gefährlichen Slums schlafen. Zu diesem Zweck wird die Spezialeinheit BOPE damit beauftragt, in den Slums aufzuräumen und unbedingt für Ruhe sorgen, denn kein Bürgermeister möchte, das die „obrige Heiligkeit“ in seiner Stadt verreckt etc. Einer der Kompanieführer der BOPE, Captain Nascimento (Wagner Moura) hält den Stress der nervenaufreibenden Arbeit kaum noch aus. Nach außen hin ist er der harte Anführer einer BOPE-Gruppe, innerlich aber wird er von der Arbeit zermürbt und greift nach Tabletten. Als nun seine Frau schwanger wird, überlegt er auszusteigen. Da kommen ihm die beiden blauäugigen und draufgängerischen Rekruten Matias (André Ramiro) und Neto (Caio Junqueira) gerade zur rechten Zeit, denn er braucht unbedingt einen Nachfolger, um aussteigen zu können. Er glaubt zunächst, in Neto einen Wahnsinnigen zu erkennen, der er selbst einmal gewesen ist und der sich bestens für die Stelle eignet, bis folgenschwere Ereignisse und Verstrickungen seinem Plan einen Strich durch die Rechnung zu machen scheinen …

Kritik:

„In Rio hängt der Friede von dem empfindlichen Gleichgewicht zwischen der Munitionsmenge der Gangster und der Korruption der Polizisten ab.“ Nascimento

„Tropa De Elite“ bekam auf der letztjährigen Berlinale den goldenen Bären. Diese Auszeichnung hat der Film nicht ohne Grund erhalten. Erzählt wird die Geschichte rund um die drei Hauptfiguren Nascimento, Matias und Neto aus der retrospektiven Sicht Nascimentos. Seine Stimme aus dem Off kommentiert die Bildsprache und Ereignisse permanent (und die deutsche Synchron-Stimme steckt in gewisser Weise voller Coolness) und führt so die Handlungsstränge halbwegs stringent zusammen. Dieses Erzählmuster passt gut zum Charakter des Films und verleiht ihm manchmal dokumentarischen Flair.

Da wird es auch kaum jemanden überraschen das Regisseur Jose Padilha ursprünglich Dokumentarfilmer war und erst aufgrund der dokumentarischen Unverfilmbarkeit des Stoffes darauf stieß (die BOPE verbot angeblich das Drehen echter Einsätze), sein neuestes Werk doch als Spielfilm zu konzipieren. Man muss sagen, dass ihm dies mit Bravour gelungen ist. Hier kommen gleich mehrere Sorten von Fans auf ihre Kosten: z.B. Actionliebhaber und Fans von Charakterdramen sowie Milieustudien.

„Ehrlichkeit gibt es nicht.“ Nascimento

Zur Charakterzeichnung muss man sagen, das der Regisseur das richtige Maß gefunden hat, um seine drei Hauptcharaktere eingängig zu charakterisieren. Für jeden nimmt er sich genau richtig Zeit, wobei der Zuschauer bei Neto wahrscheinlich am ehesten das Gefühl hat, ihn am wenigsten kennengelernt zu haben.

Dem Filmvergnügen tut das keinen Abbruch: Mit wackeliger Handkamera voran (das zur Zeit neben der boomenden Animationsfilmbranche beliebteste Stilmittel) können wir eintauchen in die schnelllebigen (Entwicklungsgeschichten)Geschichten der Figuren in einer uns unbekannten Welt. Man darf betrachten, wie Korruption in Brasilien funktioniert, wie die Eliteeinheit hart ausgebildet wird, wie das Vorgehen der selbigen im Kampf klappt, wie die BOPE mit brutalsten Methoden sich ihren Weg bahnt – ohne Rücksicht auf Verluste, wie dieser Modus zu Tragödien führt, wie an einer brasilianischen Universität über Foucault diskutiert wird, wie ein junger Mann versucht mit zwei konträren Identitäten umzugehen, kurz gesagt: Wie es um Leben und/oder Sterben in Rio geht.

„Gehen ehrliche Polizisten in die Slums, geht die Scheisse erst richtig los.“ Nascimento

Das man dabei vorgeführt bekommt, wie weit der Verfall von Moralität und sozialem Gewissen in den Slums schon vorangeschritten sind und was für jämmerlich-erbärmliche (Drogen)Zustände dort herrschen dürfte klar sein. Die Mini-Gangster in den Slums scheinen sich aber vor einem zu fürchten, und das ist die BOPE. Mit ihr legt man sich lieber nicht an, denn mit der BOPE ist nicht gut Kirschen essen. Während die Polizei fröhlich korrupt agiert, beschwört die BOPE ihre Unkorrumpierbarkeit und tritt heroisch-moralisch in Erscheinung. Trotzdem hat die BOPE in Sachen Brutalität und Gewalteskalation auch ihre Leichen im Keller. Allerdings gehört so etwas bei einer Elite-Spezialeinheit wahrscheinlich dazu…diskussionswürdig sind die Foltermethoden dennoch allemal. Bei solch brutaler Vorgehensweise wird dem Zuschauer die erschreckende Erkenntnis klar und vor Augen geführt, dass die Menschen in den Slums und vor allem die Drogenhändler und Drogenabhängigen keinen Pfifferling wert sind. Man fragt sich, wo man überhaupt noch Menschlichkeit in den Favelas finden soll. Selbst eine NGO-Organisation scheitert im Film an der Drogenherrlichkeit ihrer studentischen Mitglieder…

Das Problem des Filmes ist nur eines: Man kennt das alles schon irgendwie. Erfahrene Cineasten werden sich an zahlreiche andere Filme erinnert fühlen, welche die ähnlichen und manchmal sogar gleichen moralisch-ethischen Fragen aufgeworfen haben wie „Tropa De Elite“. Da für viele dieser Fragen aber nach wie vor keine Algorithmen gefunden worden sind, ist die Wiederaufrollung der Thematiken und der Fragen allerdings legitim. Trotzdem bleibt der Film also sehr sehenswert, eben weil er aus der Sicht der Spezialeinheit erzählt und damit ein besonderes filmisches Bonbon darstellt. Allerdings hat man, um mal ein Beispiel zu nennen, auch schon in Kubricks „Full Metal Jacket“ gesehen, wie Menschen gebrochen werden können, um dann auf den Bruchstücken eine skrupellose, gnadenlose, hassende und funktionstüchtige Tötungsmaschinerie aufzubauen. Die Ausbildung der Tropa De Elite Einheit erinnert hier unweigerlich an Kubrick, auch wenn die Szenen natürlich andere sind … Die Kritik an der Korruption ist alt. Genau die Korruption die in Brasilien verheerend existent ist, gibt es auch in New York, in Moskau, in Mexiko-City oder in Bangkok (ein gutes Filmbeispiel bezüglich der Korruption in Amerika ist der kürzlich erst im Kino gelaufene: „Das Gesetz der Ehre“). Dass es auch anders möglich ist zeigt das Beispiel Deutschland. Hier hält sich laut Statistik die Korruption wenigstens noch einigermaßen in Grenzen. Der Wunderschlüssel, um die Panzertür der Korruption zu knacken, ist also wahrscheinlich die Prosperität. Schaut man sich an, wo es überall massive Korruption gibt, dann fällt doch auf, dass dies eher in den ärmeren, bildungsferneren, drogenverseuchteren Ländern der Fall ist oder zumindest in jenen, wo es gravierende Slums gibt. Die „Gettos“ in Deutschland (wie Duisburg-Marxloh beispielsweise) sind noch lange nicht mit denen anderer Länder wie Brasilien oder mit der Bronx in New York vergleichbar – dem Sozialstaat sei Dank. Mal sehen wie sich das in Zukunft entwickeln wird, denn auch bei uns klafft die Schere der sozialen Ungleichheit immer weiter auseinander…

Fazit:

„Tropa De Elite“ ist formal perfekt inszeniert – die Handkamera, die Erzählweise, das Drehbuch, die schnellen Schnitte, die Charakterzeichnung, die schauspielerischen Leistungen des weitestgehend bei uns unbekannten Schauspielensembles – all das fügt sich relativ stimmig zusammen und bereitet dem Rezipienten nach kurzer Aufwärm- und Eingewöhnungsphase beste Unterhaltung – auch wenn es wenig zu lachen gibt und der Film meistens ernsthafte Töne anschlägt. Doch nicht nur das: Der Film skizziert ein wichtiges Gesellschaftsportrait von harten Realitäten, die manche Soziologen auch hier bei uns in westlichen Gefilden irgendwann einwandern und entstehen sehen. Diese Soziologen beschreiben die hier ähnlichen gesellschaftlichen Prozesse mit dem Begriff der Brasilianisierung. So regt der Film also auch an zum Nachdenken und Diskutieren mit Freunden. Die Kontroversität ist allemal gegeben. Angeblich sollen die fiktiven Realitäten im Film tatsächlich den tatsächlichen Realitäten in der Wirklichkeit ziemlich nahe kommen. Das was man im Film sieht ist also keinerlei Spinnerei, sondern brutale Realität. Dank der Globalisierung im Filmgeschäft dürfen wir nun daran teilhaben und uns über solche kunstvoll-experimentellen Filme, die uns wichtige Einblicke in „andere Welten“ geben, sehr freuen.

[Wertung]

Huckabee: 4 out of 5 stars (4 / 5)

Lass ein paar Worte da:

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.