Einleitung:

Das Schlimmste für Eltern ist es, wenn eines ihrer geliebten Kinder in jungem Alter verstirbt. Dieser Verlust einer geliebten Person, die auch noch aus einem selbst quasi besteht, bewirkt oft eine Traumatisierung. Dieser Kernthematik, verwoben und verstrickt mit einer komplexen Familiengeschichte, widmet sich der Film „Im Winter ein Jahr“ der deutschen Regisseurin und Oscar-Preisträgerin Caroline Link (Jenseits der Stille, Pünktchen & Anton, Nirgendwo in Afrika), die das Drehbuch schrieb und Regie führte. Dabei bleibt das Familiendrama etwas hinter den vorherigen (für deutsche Verhältnisse) Meisterwerken der Ausnahmeregisseurin zurück…

Story:

München: „Eliane Richter (Corinna Harfouch) bittet den Künstler Max Hollander (Josef Bierbichler), ein Portrait ihrer zwei Kinder zu malen, der 22-jährigen Lilli (Karoline Herfurth), einer talentierten Tanzstudentin, und des 19-jährigen Alexander (Cyril Sjöström), der vor einem knappen Jahr tödlich verunglückt ist. Als Lilli, zunächst lustlos, im Studio des Malers erscheint, merkt dieser schnell, dass Lili in großen emotionalen Schwierigkeiten steckt und er versucht, die ehemals tiefe Verbindung der Geschwister besser zu verstehen. Es entsteht eine vorsichtige Annäherung zwischen den beiden und das Psychogramm einer komplexen Familie. Am Ende hat das Bild wenig mit dem zu tun was sich Eliane erhofft hat und kann gerade deshalb den Weg ebnen für einen neuen Anfang.“ (Quelle:

Kritik:

Der Stoff des Dramas ist brisant und für ein Familiendrama natürlich bestens geeignet. Die Idee der Story ist also ausgezeichnet, doch wie sieht es mit der praktischen Umsetzung aus? Zunächst einmal zu den Schauspielleistungen: Hier dürfen wir hochkarätige deutsche Stars bei ihrem Handwerk beobachten. Josef Bierbichler, der sowieso partout immer grandios spielt, scheint hier einen Gang runter zu schalten. Voll entfalten kann er sich hier jedenfalls nicht – dazu fehlt ihm der Raum und die richtige Szenerie. Seine Figur, ein Künstler der Maler ist, fungiert in gewisser Weise eher als Brücke für die eigentliche Hauptfigur des Streifens: Das lebenslustige Mädchen Lilli Richter (Karoline Herfurth). Von Karoline Herfurth durfte der Verfasser dieser Kritik noch keine bessere Performance als diese sehen! Denn hier spielt Herfurth ganz groß auf. Ihre Ausstrahlung, ihre Leinwandpräsenz und ihre kokette Art faszinieren. Sie repräsentiert die Jugend, Schönheit und den Glanz, der mit all dem verbunden ist. Sie gibt sich in ihren Charaktereigenschaften risikoreich, unpünktlich, anziehend, verführerisch, exzessiv (was rauchen und trinken angeht) manchmal verlogen, verdrängend, sexy (beinfrei gekleidet), frech, intelligent, schlagfertig, direkt, offensiv und indiskret. Der ruhige, ruhende Gegenpol dazu ist Bierbichler als einsiedlerischer und menschenscheuer Künstler, der nach eigener Aussage eher so eine Rolle als sozialer Beobachter und Randständiger in der Gesellschaft einnimmt und sich lieber von anderen ins Leben reißen oder von ihnen mitreißen lässt.

So weit so gut. So weit, so zusammen passend. Jedoch wird bei genauerem Hinsehen deutlich, das die Beziehung zwischen Max und Lilli nur scheinbar harmonisierend wirkt. Diejenige Tiefe, die der Film in einigen Szenen der „innigen“ Beziehung zwischen den beiden Hauptprotagonisten suggeriert, entpuppt sich mitunter als etwas unglaubwürdig und dysharmonisch. Irgendwie leisten die beiden jeder für sich im Zusammenspiel eine gute Performance, auch wenn Bierbichler in einer etwas ungewohnten Rolle nicht ganz groß aufspielen kann, und trotzdem harmonieren sie zusammen eher leicht unglaubwürdig wenig. Die Figuren an sich sind sonst recht komplex charaktergezeichnet, wie die obige Charakterbeschreibung schon angedeutet hat. Auch beim Künstler Max schlummern so einige Konflikte und Begebenheiten in der Vergangenheit, die ihn zum Einsiedler machen. (SPOILER!) Er scheint eine latente Homosexualität zu besitzen, mit der er nicht richtig umgehen kann oder die er nicht akzeptieren will. In einer Szene geht er in einen Schwulenclub, trinkt ein Bier, latscht in den Dark Room und lehnt dann aber ab, als es zur Sache gehen soll. Er hat also offenbar (sogar im etwas höheren Alter) anscheinend Probleme mit seiner Selbstakzeptanz. Oder er ist bisexuell. Man weiß es nicht so genau und man erfährt es auch nicht richtig eindeutig im Film. (SPOILER ENDE!)

„Ein Bild kann bei der Trauer helfen“ Josef Bierbichler

Zu dieser Sache gesellen sich natürlich noch mehr Aspekte, die einer Analyse des Zuschauers bedürfen. Das Beste und Anziehende an Bierbichlers Figur ist, das er ein Maler ist, der sich mit dem Malen von schon Verstorbenen und Toten speziell beschäftigt. So umgibt er sich in seinem Atelier, in dem er auch haust, mit vielen Portraits von Verstorbenen, die er im Nachhinein gemalt hat. Diese Tatsache macht ihn interessant, aber auch schräg und etwas finster. Im Grunde ist er aber ein lieber und ruhiger Mann, der Lilli auf ihrem Weg der Bewältigung der Trauer und der Selbstfindung nach dem Tod ihres Bruders helfend und erkennend begleitet. Die Kunst als Metier der Trauerbewältigung scheint doch psychologisch geeignet zu sein.

Dafür, dass der tote Bruder nicht richtig anwesend ist im Film – außer das er in etlichen Rückblenden immer wieder in Lillis Kopf und durch ihre Erzählungen von ihm erscheint, wird er doch ordentlich und viel charakterisiert, so das der Zuschauer am Ende im Grunde glaubt, ihn so wie die anderen Personen zu kennen. Das anfänglich dunkle Bild vom Bruder, von dem man fast nichts weiß, aber Böses vermutet, wird sukzessive erleuchtet. Trotzdem kommt dieser Figur nie etwas vom Geheimnisvollen und Mystischen abhanden. Die anderen Figuren wie die Mutter (Corina Harfouch) oder der Vater Thomas (Hanns Zischler) bleiben allerdings neben Karoline Herfurth und dem Altmeister Josef Bierbichler eher blass und marginal.

Die Psychologie der Familie und ihre Dynamik sind komplex und fein strukturiert aufgebaut. Das macht die Sache kopflastiger und das Drama zu keinem seichten Unterhaltungsdrama und Lacher oder gar Heuler sind auch beinah keine eingebaut. Deshalb befürchte ich, dass der Film sich auch fast ausschließlich an Dramen-Fans richten könnte. Die Schwere des Themas, die für das Genre Drama typische, langsame Inszenierung und die familiären Interna machen es eventuell für eingefleischte Fans anderer Genres ungenießbar. Hier haben wir es wirklich mit einem reinen Familiendrama zu tun.

Immer wieder überrascht uns der Film mit seinen Einstellungen, was eigentlich positiv hervorzuheben wäre, wenn man mit diesen mehr anfangen könnte! Jedoch dienen viele anscheinend eher dem bloßen Schmuck und als Beilage, anstatt als Symbolik oder als bedeutungsschwangere Metapher: (SPOILER!) So z.B. leckt Lilli einem ihr fremden Mann im Hotel die Hand und küsst seine Finger und macht ihn bewusst scharf, was dieser auch durchaus intendierte, doch was soll diese Szene? Wenn sie Lilli charakterisieren soll als Hasardeurin, dann ist ihr das in gewisser Weise gelungen, doch als Lilli sich dann in einen Künstler namens Ardo verliebt, der aber bei näherer Betrachtung keine tiefe, enge und sehr nahe Beziehung zu ihr eingehen will, da dreht sich dieses paradoxe (Selbst)bild Lillis dann wieder in die andere Richtung. Hier zeigt sich auch ein Klischee, was immer wieder gern in der Gesellschaft vorkommt: Nämlich das das Mädchen/die Frau sich vor Liebe bedingungslos hin gibt und der Mann sich davon bedrängt fühlt und sie abblockt, um seine Freiheiten nicht einzubüßen o.ä. (Spoiler Ende) Der Film steckt also in manchen Teilen schon voller Klischees, auch voller Signale und Zeichen, die immer wieder auf das Gutbürgertum (Der Vater ist sehr erfolgreicher Professor, die Mutter Innenarchitektin) in München hindeuten, in dem sich der Film bewegt. Vor allem auch die emotionale Unterkühltheit der Mutter und des Vaters weisen darauf hin, die natürlich auch der Trauer und der Unverarbeitetheit durch den (Frei)Tod des Sohnes geschuldet sind.

Hin und wieder taucht immer wieder schön in Szene gesetzt das Motiv des durch Glas guckenden Beobachters auf. Diese Bilder machen durchaus Spaß und sind genretypisch. Jeder der Protagonisten geht irgendwie alleine mit der Trauer um – jeder auf seine Art und Weise. Der Vater sitzt schon mal weinend allein im Auto. Die Mutter kehrt zur Stelle des Selbstmordes des Sohnes zurück und bricht im Herbstlaub und der nassen Erde weinend zusammen oder sie hockt im ehemaligen Zimmer ihres Sohnes und starrt die weißen Wände an. Lilli weint und öffnet sich beim Künstler, der in gewisser Weise eine Art Ersatzfamilienmitglied bzw. Trauer-Therapeut für sie wird. Aber auch andere Mittel zur Bewältigung von Trauer werden gezeigt, wie z.B. das des Tanzens (in einer Szenen-Montage tänzelt Lilli trauernd ihre Choreografie, die sie nicht gepackt hat, weil sie sich Zeit nehmen musste, um über ihren Bruder und die damit verbundene Trauer hinwegzukommen – denn sie hat das Gefühl, das er sie verfolgt). Nur nicht zusammen trauert die Familie, aus was für Gründen auch immer – vielleicht auf Grund der Zerrüttetheit und Zerrissenheit der familiären Bande. Dabei wäre das Gemeinsame das Heilende – obwohl es auch gleichermaßen der am schwersten, weil am schmerzhaftesten zu gehende Weg ist.

Auch nach Gründen für den Selbstmord des Sohnes wird geforscht und gefahndet, doch lassen sich hier nur fade Andeutungen und schmale Hinweise ausmachen. So ganz erfährt man es am Ende nicht, doch tut das dem Filmvergnügen keinen Abbruch. Die Gründe scheinen auch bestenfalls klischeehaft zu sein – jedenfalls diejenigen, welche im Film als mögliche Gründe thematisiert werden. Allerdings sagt Bierbichler dann auch noch den klugen Satz, das es ja höchstwahrscheinlich und möglicherweise mehrere, multikausale Gründe gibt und nicht nur einen Monokausalen.

Einer der gewichtigen Höhepunkte des Filmes ist dann die Enthüllung und Fertigstellung des Bildes, das viel über die Sichtweise des Künstlers und über die Wahrheit der Familie aussagt. Fakt ist aber dennoch, das alle ihren Sohn/Bruder sehr liebten und unter seinem Tod arg leiden – bei allen Querelen und Spirenzchen die dazwischen wurschteln. Danach hätte der Film eigentlich auch bald zu Ende sein können. Doch das Werk zieht sich noch länger hin und fordert letztlich stolze 2 Stunden dass Sitzfleisch heraus.

Fazit:

Letztlich bleibt ein etwas zu sehr in die Länge gezogenes Familiendrama mit guten Schauspielleistungen, einer interessanten Story, angemessenen Szenen der Verarbeitung des Traumas durch den Verlust einer nahestehenden Familienperson sowie interessante Figuren, die den Film schon recht schmackhaft machen. Aber vor allem ist der Film doch eher für eingefleischte Fans des mitunter schwermütigen, langsamen Dramas geeignet, die sich davon berühren und so emotional unterhalten lassen wollen. Leider enthält der Film dabei immer wieder Szenen und Passagen, die packend und fesselnd erzählt sein sollen, jedoch weder packende noch fesselnde Wirkung beim Betrachter erzielen. Manchmal mangelt es dem Drama also an der richtigen Dosierung der Intensität der jeweiligen Szenen. Ansonsten durchaus sehenswert!

[Wertung]

Huckabee: 3.5 out of 5 stars (3,5 / 5)

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