[Einleitung]

Spoiler!!

Erst als ich die ersten Minuten von Enter The Void gesehen habe, wusste ich, dass das der Film ist, auf den ich schon ewig gewartet habe. Vielleicht nicht ganz, aber es kommt sehr nahe dran. Gaspar Noés neues Werk ist nämlich nichts anderes als ein visuelles Meisterstück, dessen Kameramann zur Hauptattraktion des ganzen Films wird. Es wird aus der tatsächlichen Sicht des Protagonisten Oscar erzählt, aus seiner Schulterperspektive und aus seiner schwebend, spirituellen Perspektive. Es sind drei Sichtweisen, die sich in Enter The Void kongenial mit der Geschichte über Leben, Tod und Wiedergeburt zusammenschließen. Nach dem Trailer habe ich schon die Schulterperspektive gesehen und für sehr ansprechend gehalten, aber was man im ersten Fünftel des Films sieht hat mich dann doch sehr, sehr gefreut.

[Inhalt]

Es geht um Oscar (Nathaniel Brown), ein Drogendealer, der keiner sein will und seine Schwester Linda (Paz de la Huerta), zu der er eine innige Beziehung seit seiner Kindheit pflegt, da ihre Eltern gestorben sind und die beiden nur sich hatten. Grob gesagt geht es um einen missglückten bzw. einem gefakten Drogendeal, bei dem Oscar angeschossen wird und stirbt. Er kommt in einen Zustand, den sein Freund Alex (Cyril Roy) zuvor genauestens erklärt hat. Es sind die Zustände, in denen man sich befindet, wenn man stirbt, alles akkurat nach dem Totenbuch, des Bardo Thodol. Enter The Void erzählt alles aus der Sicht von Oscar, sein Leben, seinen Tod und das, was nach dem Tod kommt.

[Kritik]

Der Gedanke an den Film ist immer noch sehr präsent, denn Bilder zu erzeugen, die lange im Gedächtnis bleiben, das hat Noé schon in seinen letzten Werken gezeigt. Es ist einfach grandios einen Regisseur zu haben, der es schafft eine Vision zu inszenieren, die sich bisher noch keiner getraut hat oder keiner im Stande war zu bewerkstelligen. Gerade die Sicht aus den Augen Oscars dürfte ziemlich schwierig gewesen sein. Mein Wunsch war es eigentlich irgendwann einen Film zu haben, der sich komplett aus dieser Sicht entfaltet und die ganze Spielfilmlänge über eine Geschichte ausbreitet. Natürlich ist das nicht einfach, aber mein Wunsch wurde dank Noé teilweise erfüllt. Besonders gefällt mir, dass man das Blinzeln mitbekommt. Es hätte vielleicht etwas wackeliger, weil authentischer sein sollen an manchen Stellen, aber nun gut. Ich bin zufrieden. Mit der ersten Hälfte des Films zumindest.

Visuell ist die erste Hälfte des Films nämlich einfach überwältigend. Es gibt eine Szene, in der Oscar Drogen konsumiert, Dimethyltyptamin, kurz DMT, eine bewusstseinsverändernde Droge, die extreme Pseudohalluzinationen auslösen kann. Im Film wird es beschrieben als eine Droge, die am nächsten eine Visualisierung des Todes darstellen kann. Und so nimmt Oscar DMT zu sich, raucht es, legt sich hin, zündet es nochmal und nochmal mit dem Feuerzeug an, die Droge setzt ein, man sieht Lichter, Fäden, grell, wirr, es ist wieder Realität, nochmal anzünden, es geht weiter, Oscar verliert sich in den fantastischen Bildern und der Zuschauer auch. Es ist eine lange Sequenz, die den Trip aber ansprechend und überzeugend auf die Leinwand bringt. Des Weiteren ist natürlich die angesprochene Sichtweise einfach stets geeignet zu faszinieren, mich jedenfalls. Besonders angetan haben mich die Erinnerungen von Oscar an seine Kindheit. Der Kameramann und Noé haben dafür großen Lob verdient.

Enter The Void verliert sich in seinen 160 Minuten aber so langsam in seinen eigenen Bildern. Wo es am Anfang noch wirklich thematisch um den Weg in die Todeswelt und danach geht, so hat der Zuschauer auch schon gemerkt, was als nächstes kommen wird. Die zweite Hälfte kann nicht mehr überraschen und hat außer viele explizite Sexszenen wenig zu bieten. Es wird etwas langatmig, es zieht sich ein wenig, wenn Oscar in seinem spirituellen Zustand von Ort zu Ort schwebt, hin und her, hin und her. Es mag gut sein, dass die Dauer des Weges präzise lang geflogen wird, aber so genau muss es nun auch wieder nicht sein. Noé hält natürlich an seine Inszenierung fest, was zunächst zu loben ist, aber im Verlaufe der Zeit auch wieder etwas nervt. Auch die Sexszenen werden langsam zu viel, sie haben keinen wirklichen Sinn mehr und es kommt einem so vor, dass Noé einfach noch mehr zeigen will, als eigentlich nötig. Hier hätten ein paar Kürzungen nicht geschadet.

Weiterhin muss ich noch erwähnen, dass ich lediglich die deutsche Fassung gesehen habe, denn die Synchronisation war stellenweise einfach nicht gut. Besonders Linda wird extrem eintönig gesprochen und kann wenig Emotionen rüberbringen, genau so wie ihre Stimme als Kind. Im Original hätte es wahrscheinlich besser gewirkt, aber das werde ich wohl erst bei einer nächsten Sichtung erfahren.
Abschließend lässt sich eigentlich nur noch sagen, dass das Intro von Enter The Void zu den besten gehört, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Es ist ein fantastischer Einstieg in den Film und greift vor, was auf einen zukommen wird. Es ist grell, mit einer impulsierenden Musik abgespielt, fetzig, penetrierend, wie die Lichter in Tokyo, die niemals ausgehen wollen. Es sind die Lichter, die man in der letzten, langen, fabelhaft eingefangenen Einstellung nur noch verschwommen sieht, es sind die Lichter, die noch lange im Gedächtnis bleiben werden.

[Wertung]

Khitos: 3.5 out of 5 stars (3,5 / 5)

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