„Ich habe Dinge gesehen … die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe die brannten draußen vor der Schulter des Orion und ich habe C-Beams gesehen…. glitzernd im Dunkeln…Nahe dem Tannhäuser Tor…All diese Momente werden verloren sein…in der Zeit…so wie Tränen im Regen…Zeit zu Sterben.“ –

„Blade Runner“ hatte es schon zu Anfang nicht leicht, das prägende Werk von Ridley Scott erschien doch zu einem Zeitpunkt im Kino, als der Zeitgeist im Kino ein anderer war. Dystopien waren nicht sehr beliebt beim Kinopublikum, dem damaligen Zeitgeist nach zu urteilen wurde ein positiv politischer Trend propagiert. „Das Ding aus einer anderen Welt“ von John Carpenter ist ebenso ein Paradebeispiel für ein damals zu unrecht verlorenes Stück Kinogut wie „Blade Runner“, welcher sich dem damaligen Kinorenner „E.T.“ von Steven Spielberg kommerziell geschlagen geben mußte. Und das unverdientermaßen…

Das einzigeste, was z.B „Alien“ und „Gladiator“ noch etwas spürbar besser gemacht hat, als das 3. Werk von Ridley Scott nach „Die Duellisten“ und Alien“ ist die emotionale, narrative und schlüssige Logik, die sich dem gebannten Kinozuschauer im Nachhinein beim Anschauen der Werke und der geschaffenen Welten erschließt. Aber im Grunde genommen ist das marginal, denn „Blade Runner“ ist ein herausragender Film, der heute noch vielen Filmschaffenden als Inspiration dient…Und uns vor Augen führt, was „Science Fiction“ in ihrem tiefstem Wesen bedeutet. „Blade Runner“ ist die wohl ernsthafteste Verbeugung vor dem Science Fiction Genre, auch vor „Metropolis“, und der wohl seriöseste Umgang mit einer wahrlich schwierigen Thematik.

Im Falle „Blade Runner“ ist es auch heute noch so, das der Film nach einmaliger Betrachtung nochmals geschaut werden muß, um vollständig erfaßt werden zu können. Das liegt im Kern daran, das sich sich die Protagonisten des Werkes einer vollkommen Identifikationsfläche verweigern. Ein Rick Deckard taugt weniger als empathiefähige Figur, alleine sein tun und Handeln wird im gelungenen Finale deutlich hinterfragt. Für manche erscheint es mutiger, das die entsprechenden Identifikationsflächen nicht bedient werden, man bricht doch an dieser Stelle mit dem Genre, Blade Runner nahm aber zum Zeitpunkt des Erscheinens durch die fehlende Identifikationsfläche die persönliche Nähe, man hatte es schwieriger, in Blade Runner mit den überlebensgroß geschaffenen Figuren mitzuleiden. Und daher ist der damalige, geringere Erfolg auch durchaus nachzuvollziehen. „Alien“ hingegen, um mal den Vergleich zu ziehen, brach durch Sigourney Weavers der Darstellung der Ripley als Heldin (zwar wider Willen, aber als Frau) mit dem männerdominiertem Genre; das bot zwar etwas neues, aber gleichzeitig die Identifikationsfläche, die Blade Runner abgeht. Leider rief Blade Runner auch auf Grund seiner Thematik zu seiner Zeit ein geteiltes Echo hervor, völlig zu Unrecht, denn es wurden auch universelle Themen behandelt, die heute für uns alle von zentraler Bedeutung sind, wie die Überbevölkerung, die globale Umweltverschmutzung u. das Klonen (replizieren) von Menschen!! Ridley Scott erzeugt durch das langsame Tempo in Blade Runner wie schon einst Stanley Kubrick eine ungeheure visionäre Tiefe erzeugt und hinterläßt am Schluß eine zutiefst humane Botschaft .

Die Handlung ist schnell erzählt: Der ehemalige Blade Runner Rick Deckard soll gestrandete Replikanten aus dem Verkehr ziehen, die auf der Erde, so wie sich im nachhinein herausstellt, auf der Suche nach ihrem Schöpfer sind, mit fatalen Folgen für Deckard, wird doch am Ende nicht nur die gesamte Existenz und Schöpfung der Replikanten hinterfragt, sondern auch seine ganz eigene, die ihn höchst korrumpiert und demoralisiert zurücklassen wird… Schon am Anfang des Films wird die Messlatte mit Scotts Intro im tollem Look und Schrift, wie es nachher auch im Falle Gladiator gemacht wurde, ziemlich hochgelegt: „Anfang des 21. Jahrhunderts stieß die Tyrell Corporation in der Entwicklung der Roboter in die Phase „Nexus“ vor, sie schufen ein dem Menschen völlig identisches Wesen – den Replikanten. Diese künstlichen Menschen der Phase Nexus 6 waren stärker, beweglicher und mindestens ebenso intelligent wie die Genetik-Ingenieure, die sie geschaffen haben. Replikanten wurden als Sklavenarbeiter bei der gefährlichen Erforschung und Kolonialisierung anderer Planeten missbraucht. Nach der blutigen Meuterei einer Nexus 6 Gefechtstruppe in einer Kolonie auf einem anderen Planeten wurde Replikanten unter Androhung der Todesstrafe die Rückkehr zur Erde verboten. Spezielle Polizei-Einheiten – die ‚Blade Runner‘– erhielten den Befehl, jeden Replikanten, der auf der Erde entdeckt wird, zu töten. Man nannte es nicht Exekution, sondern aus dem Verkehr ziehen.“ Zynismus und Sarkasmus sind im letzten Satz also gleich an der Tagesordnung…

Scotts wegweisendes Science Fiction Meisterwerk gehört zu den wenigen Filmen der Filmgeschichte, denen auch ein klares Ende abgeht, bis heute wird genüßlich darüber philosophiert, ob Deckard ein Replikant sein bzw. welche Bedeutung das Einhorn (vielleicht die Freiheit?), das im Film auftaucht, haben könnte…Bewußt werden Parallelen zu vorhandenen Märchen und zu verkommen, auch real existierenden Slums / Orten unserer Welt, wie Hongkong und Kowloon, gelegt; durch Blade Runner entsteht ein Mythos. Selbst ein Mr. Tyrell könnte durchaus als Replikant identifiziert werden. Das Auge, welches unser einziger Zugang zur Realität neben den anderen Sinnesorganen ist, kann uns jederzeit lügen und betrügen.

Blade Runner ist im höchsten Maße effektiv auf mehreren Ebenen angelegt und verlangt im intellektuellen Maße alles vom Betrachter ab. Das Auge bedeutet in „Blade Runner“ etwas zu erkennen, aber auch von anderen entdeckt zu werden. Die Replikanten wollen nicht erkannt werden, weil sie getötet werden sollen, die anderen wollen erkennen, damit sie töten können. Die Replikanten sind im Effekt all das positive was die Menschen auszeichnet und diesen schon lange abhanden gekommen ist. Den Menschen wird quasi der Spiegel vor das Gesicht gehalten. Die Verbrechen an einer eigens geschaffenen Spezies werden durch die Replikaten künstlich reflektiert.

Ebenso macht schon das am Anfang sich ins Gedächtnis brennende Gespräch zwischen Holden und Leon macht deutlich, in welche Richtung Blade Runner schnurstracks marschiert. Es geht darum, den Unterschied herauszufinden, ob jemand ein Mensch oder ein Replikant ist. Aber was macht das für einen Unterschied? Gibt es überhaupt einen? Wo ist die Grenze, an der ein Individuum zum Menschen wird, wann muß man diesem Würde und Respekt erweisen, ist das Leben nicht unantastbar, ein absolutes Wunder? Hat der Mensch überhaupt ein Recht darauf, in den Schöpfungsprozeß einzugreifen? Gibt es irgend etwas, was seinen Eingriff legitimiert? Und wenn ein Roy Batty den Sinn seiner Existenz langsam anfängt zu begreifen und sein Leben zu schätzen weiß, können wir das doch auch, oder?

Die Replikanten wie Roy Batty beispielsweise, die im Grunde genommen nichts anderes als Menschen sind, haben ihre Entwicklung nur noch nicht abgeschlossen, sie sind empfindsam, haben Emotionen und Gefühle, die man nicht einfach abstellen kann, sie sind als komplexe Charaktere zu erkennen, es gibt optisch keinen Unterschied zu uns Menschen. Auch Roy Batty ist empfindsam, hat Gefühle wie Wut und Zorn, wirkt wie ein Kind das sich entwickelt. Seine innere Uhr läuft nach und nach wie die der anderen ab. Aber er rettet Deckard das Leben, als dieser sich schon selber aufgibt, ein wahrer Akt von Größe und Menschlichkeit. Die Welt, die von Ridley Scott zum leben erweckt wird, wird als kalter, maschineller, zerstörter Ort der Umwelt interpretiert, die künstliches Leben generiert, nicht nur tierisches, sondern auch menschliches, also die Replikanten. Vielleicht sind wir in Scotts Vision gar nicht mehr in der Lage, uns bei genauerer Betrachtung sexuell zu reproduzieren, vielleicht liegt das an den vorherrschenden Umwelteinflüssen, für die der Mensch selber verantwortlich ist. Vielleicht ist das replizieren von Menschen der am Ende noch einzige, aber unrechtmäßige Weg, um die eigene Spezies zu erhalten. Zumindest fördert Gaffs Monolog im Finale diese Gedanken: „Ein Jammer, das sie nicht leben wird, aber wer tut as schon.“

Des weiteren entpuppen sich die Werbeflächen des darlegten Slums als zynischer Kommentar zur Welt, und zwar zu einer Welt, die nur Lügen verbreitet und mit ihren Konsumbotschaften den Menschen blendet und von den alltäglichen Sorgen und Problemen abzulenken versucht. Schon im Prolog wird deutlich, das sich eine Industriewelt manifestiert hat, die dem Hades zu entsprungen sein scheint und mit Luftschiffen den Weg zu neuen Abenteuern verspricht. Industrielle Kamine, Feuer und Qualm haben sich der Städte bemächtigt… Und ein alles sehendes Auge wacht über die Menschen, es existiert eine Kontrollfunktion, die einem 1984 zu entnommen worden sein scheint. Big Brother is watching you. Die Straßen sind voll mit Müll und Dreck, es regnet in Strömen, der Sozialbestand der Gebäude, in denen die Menschen wohnen, ist verrottet. Der Mensch vegetiert dahin, trotz einer guten und funktionierenden Technologie. Das Auge vernimmt nur künstliches Licht, eine andere Quelle ist scheinbar nicht auszumachen. Die Menschen leben von künstlichem Essen, halten sich künstliche Tiere. Die Welt in „Blade Runner“ wird ganz eindeutig als zerstörte Welt identifiziert, die jegliche Balance bereits verloren hat. All dies wird untermalt von Vangelis perfekter, epischer Musik. In Sachen Inneneinrichtung, Kleidung, Möbel u. Fahrzeugen läßt sich ebenfalls keine Einheitlichkeit feststellen. Herausstechend aus diesen Dingen und der globalen, kulturellen Verschmelzung ist das bekannte Bradbury Bulding. Man spürt förmlich, das Ridley Scott in der Vielschichtigkeit der Interpretationsmöglichkeit seine Werkes „Blade Runner“ sich wieder von Stanley Kubrick und seinem zentralem Werk „2001 – A Space Odyssey“ inspirieren ließ. Eine gute Entscheidung.

Fazit: „Blade Runner“ ist im Grunde genommen eine Warnung an den Menschen, wie seine eigene Zukunft aussehen kann, wenn man sich der eigenen Probleme wie Überbevölkerung, der Verschmutzung, also im übertragenen Sinne des zugrunde gehens des eigenen Planeten nicht annimmt. Darüber hinaus ist Blade Runner auch ein Appell an unserer menschliches inneres, wieder mehr Mitgefühl gegenüber anderen zu zeigen, keinem unterlegenen, wie auch insbesondere den Frauen, einfach nur in den Rücken zu schießen, sondern seine persönliche moralische Einstellung in Sachen Menschlichkeit zu überdenken, sein Einfühlungsvermögen wieder zu entdecken, das Leben als Wert zu erachten und diesem dem besten Schutz zu gewähren, vor allem wenn dies noch nicht vollständig entwickelt ist. Blade Runner verweigert sich konsequent dem gängigem Mainstream verhafteten Drama. Man weiß nicht genau, ob sich die Welt am Schluss des Ablebens von Roy Batty geändert hat. Man kann wohl eher zu einem „Nein“ tendieren, denn die Menschen sind sich selbst der größte Feind, die Menschen halten nicht zusammen, die Umwelt ist verrottet. Die Menschheit steht vor ihrem eigens geschaffenem Untergang. Um diese Erarbeitung geht es Ridley Scott. Sein brillantes Auge und seine eingesetzte Kamera sind seine Waffen, welche uns in das Geschehen mit einbeziehen und uns das gesehene noch einmal hinterfragen lassen. Blade Runner ist im Grunde genommen, rein vom optischen her betrachtet, ein Science-Fiction Art-Movie, das Produkt eines Meisters der Kunst sowie Kultur Besessenheit und der akribischen Detailzeichnung; es wurde bis zur Schmerzgrenze der Perfektion gearbeitet. Inhaltlich inszeniert Ridley Scott Blade Runner genau wie Gladiator wieder als einen Traum einer vollkommen gescheiterten Welt, als totale Dystopie, als einen menschlichen Appell ins allen, sich der eigenen Probleme auf unserem kleinem Kosmos jeden Tag anzunehmen, die Augen zu öffnen und sich der eigenen Menschlichkeit zu bewahren…Sonst ist irgendwann der Zeitpunkt erreicht, indem sie in dem sie in einem letztem Atemzug auf unserem Planeten verloren geht…Blade Runner ist ein selten tiefgründiges Epos über den Wert, die Vergänglichkeit und das Wunder des menschlichen Lebens. „Blade Runner“ befaßt sich wie einige Werke vorher mit den tiefgreifenden Fragen unserer gesamten Existenz u. mit den Gedanken und den Formulierungen „Ich denke, also bin ich“, „Ich empfinde, also bin ich menschlich“, setzt sich mit der Botschaft des vielzitierten Slogans „Man has made it’s match – now it’s his problem“, auseinander. Um Blade Runner eine faire und reelle Chance zu geben, braucht man Zeit. Und zwar die Zeit um das Werk mehrfach zu betrachten, damit sich die vollkommene Wirkung durch sämtliche, in Betracht gezogene und perfekte eingesetzte Mittel des Filmemachens einstellen kann. Man entdeckt bei jeder Betrachtung in Blade Runner gewisse Dinge, die einem immer zu entgehen scheinen, es spielt keine Rolle ob dies inhaltlicher oder optischer Natur ist. Ridley Scott stellt das ganze Genre einmal auf den Kopf und erschafft den Inbegriff der urbanen Science Fiction. Blade Runner ist zeitlos und etwas besonders. Etwas, was man wertschätzen sollte. Ridley Scots Meisterwerk glänzt aber auch Dank der digitalen Nachbearbeitung in Sachen Bild und Ton auf der vorliegenden BluRay-Disc mit referenzverdächtiger Qualität. Darüber hinaus erweist sich das zu Grunde liegende Bonusmaterial zum Film als überaus empfehlenswert.

„Wenn man seinen eigenen Erinnerungen nicht trauen kann, was bleibt dann noch übrig, was einem zum Menschen macht?“ –

[Wertung]

blockbusterandmore: 5 out of 5 stars (5 / 5)

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