Es gibt Filme, die stehen in der Gunst der Kritiker ganz weit oben. 2016 ist „Anomalisa“ so ein Film. Ich erinnere mich dabei noch genau an meinen Kinobesuch in einem Kino in München. Kurz vor Beginn der Vorstellung saß ich alleine im großen Saal und während er Werbung sind dann nur noch ein Pärchen und ein weiterer einsamer Kinogänger dazugestoßen. Viel zu wenig Publikum, für einen Film wie „Anomalisa“.

[INHALT]

Michael Stone (David Thewlis), Buchautor und Experte im Bereich Kundensupport, reist nach Cincinnati um dort am nächsten Tag eine Rede zu seinem Fachgebiet zu halten. Die Welt ist für ihn dabei ein verschwommener Brei aus den immergleichen Gesichtern und Stimmen, sein Alltag bestimmt vom täglichen Telefonat mit seiner Ehefrau und dem verwöhnten Kind, was sich mehr dafür interessiert ob sein Vater ihm schon Geschenke gekauft hat, als dafür wie es seinem Vater geht. Man könnte das Leben von Michael Stone als trist bezeichnen.

Angekommen in seinem Hotelzimmer kontaktiert Michael zunächst einmal seine Familie um den abendlichen Pflichtanruf hinter sich gebracht zu haben und ruft danach eine alte Liebschaft aus Cincinnati an. Immer und immer wieder, wie eine seiner Motivationsreden, probt er dabei den Ablauf seines Anrufes, denn ihm ist bewusst, dass sein Verhalten der Frau gegenüber damals nicht völlig korrekt war und er einiges gutmachen muss, sollte es zu einem Treffen kommen.

Und es kommt zu einem Treffen. Seine ehemalige Geliebte und er treffen sich in der Hotelbar, doch das Treffen verläuft nicht so wie erwartet, sondern wird zu einem Desaster. Michael macht sich zurück auf den Weg in sein Hotelzimmer, doch auf dem Weg dahin vernimmt er etwas sonderbares. Aus dem Einheitsbrei an Stimmen die er sonst vernimmt, hört er eine andere Stimme heraus. Sofort macht er sich auf die Suche nach diesem einen Menschen der aus der Masse heraussticht, klopft wie wild an die anderen Türen auf seinem Flur und findet schließlich die Person die er sucht. Es ist Lisa (Jennifer Jason Leigh). Klein, etwas pummelig, nicht auffällig attraktiv. Und auch wenn Lisas Freundin auf den ersten Blick attraktiver wirkt und auch Lisa immer wieder darauf hinweist, dass es doch ihre Freundin sein müsste die Michael sucht, weiß Michael ganz genau, dass er die unperfekte Lisa und eben nicht die Freundin nicht.

Zu dritt landen Michael, Lisa und ihre Freundin an der Hotelbar und anschließend nimmt Michael Lisa mit auf sein Zimmer. Die beiden reden viel, trinken Alkohol und landen schließlich auch im Bett. Für beide ein ganz besonderes Erlebnis, gewinnt Lisa durch diese Aktion doch merklich an Selbstvertrauen und Michael kann sich endlich mal wieder lebendig fühlen, erlebt einen Ausbruch aus seinem Alltagstrott.

Doch schon am nächsten Morgen hat ihn dieser wieder eingeholt, denn dann steht der geplante Vortrag an.

[MEINE MEINUNG]

„Anomalisa“ ist keine leichte Kost. Dadurch, dass man im gesamten Film nur drei Sprecher hat, bis auf Lisa alle Figuren auf das gleiche Gesicht aufbauen und hier einfach jede Szene und jedes gesprochene Wort unendlich viel Interpretationsspielraum über dessen Bedeutung zulässt, hat man es mit einem Film zu tun, auf den man sich die ganze Zeit konzentrieren muss.

Ist das schlimm? Nein, überhaupt nicht! Im Gegenteil! „Anomalisa“ wird so zu einem Stück Filmkunst, ein Film für Menschen die mehr von einem Film erwarten als plump aneinandergereihte Actionszenen, ein Film für Menschen, die auch nach dem Abspann noch lange über einen Film nachdenken und diskutieren wollen.

Mich hat es so zu Beispiel fasziniert was Michael Stone für ein Mensch ist, kenne ich diese sich schnell einstellende Langeweile auf Dienstreisen nur zu gut. Man steigt aus dem Flieger aus, steigt ins Taxi und will eigentlich auf dem Weg ins Hotel nur seine Ruhe, hat es dann aber mit einem Taxifahrer zu tun, der einen ein Gespräch aufdrängen will. Wenn auch ich mich auf die täglichen Telefonate mit meiner Frau gefreut habe und sie nicht als Last gesehen habe, wie es Michael tut. Es ist allerdings in der Tat so, dass auf solchen Reisen die Menschen um einen herum schnell einfach nur noch zu existierenden Hüllen werden, man diese als vorhanden, aber nicht unbedingt als Mitmenschen wahrnimmt. Und genau dieses Gefühl fängt Regisseur Charlie Kaufman (Adaption, Being John Malkovich) in „Anomalisa“ perfekt ein. Er zeigt Stone als einen Menschen, der zudem mit seiner eigenen Situation unzufrieden ist, zwar erfolgreich im Job, aber ansonsten einfach nur auf dieser Welt um die geforderten Standards zu erzielen. Habe eine Job, Gründe eine Familie und passe dich deiner Umwelt an. So kann man Stones Leben beschreiben.

Da ist es auch kein Wunder, dass Lisa bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Optisch entspricht sie zwar nicht den gängigen Schönheitklischees, doch unter dem mit einer Narbe als Makel gekennzeichneten Gesicht und in dem leicht pummeligen Körper versteckt sich eine Frau, die eben nicht komplett in den festgefahrenen Konventionen lebt. Mit Lisa trifft er eine Frau, die zwar nicht gerade vor Selbstbewusstsein strotzt, sich aber ein gesundes Maß an Naivität beibehalten hat. Ohne es sich eigentlich leisten zu können ist sie nämlich nach Cincinnati gereist um Michael Stone reden zu hören und beschlossen, dass diese eigentlich viel zu teure Tour in ein eigentlich viel zu teures Hotel einfach ihr Urlaub ist.

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Und auch wie sich Michael und Lisa immer näher kommen, unterstreicht die besondere Verbindung die diese beiden Menschen miteinander auf Anhieb haben. Hier wird über relativ intime Dinge geredet und der Sexualakt der aus diesen Gesprächen entsteht, überrascht doch ein wenig, traut man Lisa doch eigentlich nicht zu, direkt mit einem Mann ins Bett zu steigen, wenn auch schnell klar wird, dass in ihr schon lange die Sehnsucht brodelt und diese viel zu lange unerfüllt war. Schön dabei, Kaufman zeigt den Sex der Beiden nicht als einen klinisch reinen Hollywoodsexakt, vielmehr erleben wir eine Szene voller kleiner Pannen, einfühlsamer sowie zur Situation unpassende Kommentare. Kaufman zeigt den Sex eben genauso, wie er vermutlich zwischen den meisten Sexualpartnern passiert und eben nicht als durchchoreographiertes Stöhnballett.

Was „Anomalisa“ zu Gute kommt ist die verwendete Technik. Das Konzept, dass alle Personen außer Michael und Lisa das gleiche Gesicht und die Stimme haben lässt sich mit der Stop Motion Technik natürlich perfekt umsetzen, wo bei einer Umsetzung mit echten Schauspielern der massive Einsatz von CGI nötig gewesen wäre. Und die Stop Motion Technik hat einen zweiten Vorteil. So kann man nämlich zum Beispiel die gezeigte Traumsequenz herrlich surreal wirken zu lassen ohne, dass sich diese optisch groß vom restlichen Setting des Film unterscheidet.

Lobend muss erwähnt werden, dass der Film trotz der Stop Motion Technik sehr viel Liebe zum Detail zeigt. Der Taxameter ändert seinen Wert auf der Taxifahrt zum Hotel, die Gläser sind tatsächlich gefüllt und selbst an einen Urinstrahl für den wasserlassenden Michael wurde gedacht. Natürlich sieht man dem Film in jedem Bild seine Tricktechnik an und man erkennt auch genau wie zum Beispiel die Köpfe der Figuren gestalten wurden, damit diese ihre Augen und den Mund bewegen können, doch diese Sachen stören nicht etwa, sondern fügen sich perfekt in das tolle Gesamtbild ein.

[FAZIT]

„Anomalisa“ ist eines der filmischen Highlight des aktuellen Kinojahres. Abseits des vielen Superheldenfilme die dieses Jahr das Kinoprogramm füllen, ist Kaufman eine Arthouse-Perle gelungen, die man sich nicht entgehen lassen sollte. „Anomalisa“ erzählt auf so vielen Ebenen eine packende Geschichte. Eine Geschichte über einen Mann, der mit seinem drögen Alttag unzufrieden ist. Eine Geschichte über eine Begegnung zweier besonderer Menschen. Einfach eine Geschichte zum mitfühlen, mitdenken und um hinterher darüber zu philosophieren. Wer sich diesen Film nicht anschaut ist selber schuld und verpasst meiner Meinung nach eines der spannendsten Filmprojekte der jüngeren Vergangenheit.

[FAKTEN]

Titel: Anomalisa
Originaltitel: Anomalisa
Genre: Animation, Fantasy, Komödie
Regie: Duke Johnson, Charlie Kaufman
Drehbuch: Duke Johnson, Charlie Kaufman
Stimmen (OV): David Thewlis – Michael Stone
Jennifer Jason Leigh – Lisa Hesselman
Tom Noonan – Everyone else
Erscheinungsjahr: 2015
Land: USA
Laufzeit: 90 Minuten
Altersfreigabe: FSK freigegeben ab 12 Jahren
Verleih: Universal Pictures

[Wertung]

Gnislew: 4.5 out of 5 stars (4,5 / 5)

Die Bildrechte für die verwendeten Bilder liegen bei Universal Pictures.

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