Sergio Leones epischer Western ist die Schilderung eines kulturellen Umbruchs an der alten Frontier: die Ankunft der Eisenbahn – und mit ihr die der Räuberbarone. Gleichzeitig bedeutet dieses Ereignis das Verschwinden jener Männer, die mit dem Revolver herrschten: der Gunfighter.

Zum anderen ist der Film eine monumentale Hommage an zahlreiche Western, von denen die von John Ford am genauesten kopiert wurden.

Filminfos

O-Titel: C’era una volta il West/Once upon a time in the west (Italien 1968)
FSK: ab 16
Länge: ca. 159 Min.
Regisseur: Sergio Leone
Drehbuch: Sergio Leone, Sergio Donati
Buch: Sergio Donati, Dario Argento, Bernardo Bertolucci
Dialoge: Mickey Knox
Musik: Ennio Morricone
Darsteller: Henry Fonda, Claudia Cardinale, Charles Bronson, Jason Robards, Lionel Stander, Jack Elam, Paolo Stoppa, Woody Strode, Gabriele Ferzetti u.a.

Handlung

PROLOG Nr. 1

Der Film hat zwei Prologe und einen Epilog. Was den ersten Prolog so bemerkenswert macht, ist der Umstand, dass er völlig ohne Musik auskommt – für einen Western fast schon ein Unding. Drei Revolvermänner in Staubmänteln besuchen eine einsam gelegene Bahnstation, um ein Rendezvous einzuhalten – genau wie in Fred Zinnemanns „High Noon“.

Ihre schwarzen Hüte weisen sie für den Westernkenner als die Bösewichte aus. Zwei der Gesichter kennt man schon: Woody Strode war Stammgast in John Fords Western, und Jack Elam – er spielt Snaky – hat in so vielen Western und Serien mitgespielt, dass man sie kaum zählen kann. (Der Dritte im Bunde ist ein bis dato unbekannter Kanadier, Al Mulock, der später am Set Selbstmord beging.)

Das Trio wartet mehr oder weniger geduldig auf die Ankunft eines Zuges, der schon zwei Stunden Verspätung hat. Das Warten steigert die Anspannung bis zur Unerträglichkeit. Als der Zug endlich aus dem Nichts kommt, kurz zum Wassertanken und Postausliefern anhält, um wieder ins Nichts zu verschwinden, steigt niemand aus. Haben die Revolvermänner umsonst gewartet? Doch nein: Hinter dem abfahrenden Zug erscheint ein Mann mit einer Tasche, von dem man zunächst nur sein Mundharmonikaspiel hört. Es ist Harmonica (Charles Bronson), und er wollte hier eigentlich Frank (Henry Fonda) treffen, seinen alten Erzfeind. Doch Frank ist nicht gekommen, denn er hat Wichtigeres zu tun, wie man in Prolog Nummer 2 sieht. Nur ein Mann überlebt den folgenden Shootout.

PROLOG Nr. 2

Diese Szene beginnt mit einem Schuss und endet mit einem Schuss. Der Siedler Brett McBain ist mit seinem Sohn Timmy auf der Vogeljagd. Mit ihrer Beute kehren sie zu ihrem prächtigen Farmhaus zurück, wo schon Tochter Maureen mehrere Tische für ein Festessen deckt. Denn heute ist ein besonderer Tag: Heute kommt McBains zweite Frau Jill aus New Orleans an, um hier zu wohnen. Sohn Nr. 2, Patrick, soll sie vom Bahnhof abholen.

Doch etwas scheint nicht zu stimmen. Zweimal setzt der Gesang der Zikaden aus: eine Ankündigung von Unheil. Als McBain am Brunnen Wasser holt, flattern Vögel auf und ein Schuss fällt. Nacheinander sterben Maureen, McBain und Patrick, wie von einer unsichtbaren Macht gefällt. Und der kleine Timmy wäre vielleicht mit dem Leben davongekommen, wenn nicht einer der Killer, die nun in Staubmänteln und schwarzen Hüten aus der Halbwüste auftauchen, eine Fehler gemacht hätte: Er nennt Frank (Fonda) bei seinem Namen.

Als ob der mittelalterliche Aberglaube noch Gültigkeit besäße, wenn man Satan beim Namen nennt, so muss auch diesmal jemand dafür büßen: Timmy. Ein weiterer Schuss fällt – und er verwandelt sich (per Match-Cut) in das schrille Pfeifen der Lokomotive, die gleichzeitig im Flagstone-Bahnhof einfährt. Es ist der Zug, dem Jill McBain entsteigt, und es ist niemand gekommen, um sie zu empfangen. Denn die Familie McBain ist ausgelöscht.

HAUPTFILM

Flagstone ist eine aufblühende Grenzstadt: Hier kommen Geschäftsleute aus dem Osten an, aber auch Rancher gibt es hier schon, sogar ein Goldsucher steigt aus. Die Ureinwohner des Landes verdingen sich als Transportarbeiter, auf der gleichen Stufe wie die freigelassenen Sklaven. Mit einem Einspänner fährt Jill zur Farm ihres Mannes. Im Film führt der Weg vom spanischen Drehort durchs Monument Valley – klassisches John-Ford-Country – bis zu einem Handelsposten, der in der römischen Cinecittá aufgebaut wurden. Nicht nur das „eiserne Pferd“ muss Wasser tanken, das gilt auch für normale Pferde, wie der Kutscher (Stoppa) vielsagend meint.

Harmonica vs. Cheyenne

Hier kommt es bereits zu mehreren wichtigen Begegnungen. Hier hören wir die erste Andeutung, dass Jill nicht ganz die feine Dame aus der Stadt ist, als die sie auftritt. Der Barmann (Lionel Stander von der Schwarzen Liste) kennt eine Kusine in New Orleans, die dort eine Bar betreibt. Und Jills Mundwerk verleitet sie, etwas über anrüchige Badegewohnheiten der Provinzler im Handelsposten anzumerken. Sie unterstellt Homosexualität.

Nun, damit die beiden Hauptfiguren, die als nächste auftreten, bestimmt kein Problem. Nach einem lediglichen gehörten Schusswechsel betritt der Bandit Cheyenne (Jason Robards) den Handelsposten. Nach einem Schluck konfrontiert er Harmonica: Kannst du nur spielen oder auch schießen? Harmonica bleibt undurchsichtig, gibt Cheyenne aber einen wichtigen Hinweis. Staubmäntel sind das Markenzeichen Cheyennes, und harmonica hat gerade zwei Männer erschossen, die auch einen trugen. Cheyenne muss wenig später erfahren, dass Harmonica Recht hat: Franks Leute streuen falsche Indizien aus, die andeuten, dass Cheyenne auch für die Morde an den McBains verantwortlich ist.

Auf der Farm angekommen, muss Jill mit der Tatsache fertigwerden, dass sie nun die einzige Erbin des Hofes ist, aber kein Geld vorhanden ist, um ihn weiterzuführen. Sie will wieder abreisen. Doch fünf Männer haben für ihre Zukunft anderes beschlossen:

  • Der Eisenbahnbaron Morton (großartig: Gabriele Ferzetti) will Jills Land, um jeden Preis. Der Grund: Die Lokomotiven benötigen, wie gesagt, ständig Wasser, und auf Jills Land befindet sich die einzige Wasserstelle im Umkreis von etlichen Meilen. Um seine Transkontinentalstrecke weiterbauen zu können, muss bei der McBain-Farm ein Bahnhof errichtet werden. Da die Knochentuberkulose Mortons Leben in Kürze zu beenden droht, bleibt ihm keine Zeit für langes Warten oder Verhandlungen. Morton ist Großkapitalist.
  • Frank: Mortons Auftragskiller. Er sagt Jill klipp und klar, was er braucht: eine schnelle Lösung des Problems Jill. Da sie offenbar großartig im Bett ist, lässt er sie am Leben und wählt eine andere „Lösung“: eine manipulierte Auktion. Frank wird Morton gefährlich, als er andeutet, dessen Machtposten übernehmen zu wollen. Frank ist angehender Frühkapitalist.
  • Brett McBain hat sein Geld, das seine junge Witwe so verzweifelt sucht, bereits investiert: in Holz für den Aufbau eines Bahnhofs und einer Stadt. Doch laut Landvertrag, den Harmonica zitiert, muss eine Station gebaut sein, wenn die Strecke bis zur McBain-Farm gebaut worden ist. Mehr Zeitdruck.
  • Harmonica: Er hindert Jill am Wegfahren, reißt ihr die Spitzen vom Kleid, scheint sie vergewaltigen zu wollen. Falscher Alarm – er rettet ihr das Leben, als Franks Killer auftauchen. Immer wieder stellt er sich zwischen Frank/Morton und Jill/die Farm, dass allmählich der Verdacht aufkommt, er habe es selbst auf die Frau abgesehen.
  • Cheyenne: Er gibt ihr mehrmals zu verstehen, dass auf der verwaisten Farm eine wichtige Aufgabe auf sie warte. Und als sei dies nicht genug, vergleicht er sie mehrmals mit seiner Mutter, die nicht nur ebenfalls eine Prosituierte war, sondern es auch verstand, einen Mann glücklich zu machen – und sei es nur mit Wasser oder starkem Kaffee. Unter seinem Einfluss wandelt sich Jill von der Hure zur Heiligen, von der eitlen Egoistin (sie schaut ständig in Spiegel) hin zur nährenden, souverän Anweisungen gebenden „Wasserträgerin“ der modernen Zivilisation.

Ein großer Teil des restlichen Films ergibt sich aus dieser explosiven Interessenskonstellation. Wenn sich Frank und Harmonica, wie zu beginn bereits vorbereitet, endlich zum Showdown treffen, werden sämtliche Fragen geklärt. Auch die, woher Harmonica, der Nobody, kommt und was ihn seit etwa 30 Jahren mit Frank, dem Killer, verbindet.

Mein Eindruck: der Film

HINTERGRUND

Nachdem er die Dollar-Trilogie aus „Für eine Handvoll Dollars“ (1964), „Für ein paar Dollar mehr“ (1965) und „The Good, the bad, and the Ugly/ Zwei glorreiche Halunken“ (1966) mit immensem wirtschaftlichem Erfolg gedreht hatte, wollte Leone keinen weiteren Western machen, sondern begann, an „Es war einmal in Amerika“ zu arbeiten, das erst 1984 in die Kinos kam. Warum?

Leone wollte Filme in den USA produzieren und bot den Studios „Es war einmal in Amerika“ als Start an, doch die stellten die bedingung, dass er ihnen erst noch einen Western fertigstellte. Eines der Studios war Paramount. Nach etwas Nachdenken beschloss Leone, eine weitere Trilogie zu drehen: „Spiel mir das Lied vom Tod/Once upon a time in the West“ (1968), „Todesmelodie/ Giù la testa (1971) und „Es war einmal in Amerika“ – drei historische Epochen, die Amerika bewegten, wie er sagte.

Aufgrund eines intensiven Gesprächs sollte Regisseur Bernardo Bertolucci zusammen mit Filmkritiker Dario Argento das Drehbuch schreiben, Leone setzte sich dazu und alle schauten sich die Vorbilder an, die man auch im fertigen Film als Zitate zu sehen bekommt:

  • „The Iron Horse“ von John Ford (1924)
  • „The Searchers / Der schwarze Falke“ von John Ford
  • „Mein Freund Shane“
  • „Johnny Guitar – Wenn Frauen hassen“ von Nicholas Ray
  • „The Last Sunset“ von Robert Aldrich
  • „High Noon“ von Fred Zinneman (1952)
  • „3:10 to Yuma“
  • „Die glorreichen Sieben“

Daher ist „Spiel mir…“ in erster Linie ein Film über Filme, also postmodern. Leone nahm alle Filme, erzählte mit ihrem Material eine Geschichte – und stellte ihre Aussage auf den Kopf. Denn ihm gefiel die ideologie nicht, die sie transportierten: der Triumph des weißen Mannes in der Eroberung des Landes, das den Ureinwohnern gehörte; der rücksichtlose Pioniergeist, der glorifiziert wurde; und schließlich der axiomatische John-Wayne-Machismo des „A man’s gotta do, what a man’s gotta do“.

Die Figuren und Darsteller

Als nächstes wurden die fünf Hauptfiguren besetzt: Die zentrale Figur, um die sich der ganze Film dreht, ist erstaunlicherweise und erstmals bei Leone eine Frau: Jill McBain wird gespielt von Claudia Cardinale. Wie John Milius sagt: „Sie ist die Hure mit dem goldenen Herzen, nach der sich jeder Mann sehnt“. Weitaus zynischer war Leones Wahl des Killers Frank: Er wollte unbedingt Henry Fonda haben, einerseits weil der schon das Inbild des anständigen Amerikaners war und zweitens babyblaue Augen hatte.

Den Part des „haunted loners“, des von Alpträumen und seiner Vergangenheit getriebenen Einzelgängers spielte Charles Bronson, nach dem Coburn und Eastwood nicht mehr in Frage kamen. Außerdem sprach für ihn, dass er wie ein indianischer Ureinwohner aussah und somit eine weitere Bevölkerungsgruppe vertreten konnte. Jason Robards hingegen stammte aus einer Theaterschauspielerdynastie und sollte einen romantisch veranlagten Banditen spielen – nicht unproblematisch. Ein genialer Schachzug war jedoch die Wahl von G. Ferzetti als Morton: Es war, als würde man Sir Lawrence Olivier, einen höchst angesehenen Schauspieler, casten.

Zusammen bilden diese fünf Hauptfiguren die Titanen, die in einer „Oper der Gewalt“ die Bühne des Phantasie-Westens Sergio Leones betreten und fortan beherrschen. Dass dies eine Oper ist, lässt sich leicht daran ablesen, dass jede Figur nicht nur überlebensgroß wirkt, sondern auch ihre eigene Erkennungsmelodie besitzt. Jedes Gesicht wird in immenser Großaufnahme gezeigt, als handle es sich um eine Landschaft mit einer Geschichte. Beim finalen Showdown fährt die Kamera immer näher auf Charles Bronson Gesicht zu, bis die Falten größer als der Grand Canyon erscheinen. Doch beherrschend sind nicht die Falten, sondern die Augen, die Fenster zur Seele – und zur finalen Rückblende, die seine Vergangenheit und seine Bindung an Frank erklärt. Dieser Mann befindet sich auf einer Mission.

Kulissen und Kostüme

Die Kulissen waren ebenso authentisch entworfen wie die Kostüme, und für beides war Carlo Simi zuständig, dem Leone Fotos jener Epoche gab. Allein die Kulissen kosteten so viel wie der gesamte erste Dollar-Film Leones, nämlich rund 300.000 Dollar. Ein teil des Holzes für die McBain-Farm stammte noch von Orson Welles‘ Falstaff-Film „Chimes of Midnight“. Man kann dieses Set noch heute besichtigen, weil es äußerst robust gebaut wurde.

Musik und Schnitt

Ennio Morricone gelang es erstmals, nach drei Fehlstarts bei der Dollar-Trilogie, den Score VOR dem Drehbeginn fertigzustellen und zwar nach dem Drehbuch von Bertolucci & Co. Natürlich veränderte sich der Handlungsverlauf, doch beim Drehen ließ Leone den Score erklingen, beginnend mit „Jill’s Song“. Daher kann man sich mit Christopher Fraylings Worten den Film als gigantischen Videoclip zum Soundtrack vorstellen. Leone selbst soll gesagt haben, dass der Film zu 40 Prozent aus der Musik bestehe – was einer Oper durchaus angemessen ist.

Die ursprünglich für den Prolog an der Bahnstation Cattle Corral vorgesehene Musik schien nicht zu passen. Nach der Vorstellung eines Performance-Künstlers à la John Cage schlug Morricone daher vor, verstärkte natürliche Klangquellen heranzuziehen. Daher schließlich die hohe Bedeutung des Windrades, des Telegrafen, der Fliege, der Wassertropfen, Schritte, Knöchelknacken, eine zuschlagende Tür usw. Dieser Sound wurde später als „Spaghetti-Sound“ bekannt.

Damit diese Klänge – und natürlich der Rest des Films – in die dramaturgisch wirkungsvollste Reihenfolge gebracht wurden, musste Sergio Leone etwas ein halbes Jahr im Schneideraum arbeiten – nach vier Monaten Drehen. Dabei bezog er auch die Eröffnungstitel in das Bild mit ein. Sie erstrecken sich über erstaunliche zehn Minuten und werden dennoch von den meisten Zuschauern kaum registriert. Tatsache ist aber, dass sie mit dem gezeigten Bild interagieren.

Zwei Beispiele: 1) Der Telegraf fängt an zu tickern, und einer der Credits wird aus einzelnen Buchstaben zusammengesetzt (Hugo Wolff), allerdings nicht in der gewohnten Reihenfolge von links nach rechts, sondern wild durcheinander. 2) Der Zug hält endlich an der Station an, und als handle es sich um eine Schranke, fällt der Schriftzug mit dem Namen des Regisseurs von links oben nach rechts unten direkt vor den Bug der Lokomotive.

Die Story

Die Dokumentation über die Eisenbahn macht es ziemlich eindeutig klar, um was es im Grunde geht: Mit der Eisenbahn kommen nicht nur Wohlstand und Aufschwung, sondern auch Geld, Macht und vor allem Korruption in den Westen. Dies ist ein klarer Bruch mit der Ideologie des US-Westerns. Dort wurde das Treiben der „Räuberbarone“, die nach altem europäischen Mustern agierten, verschwiegen oder glorifiziert. Insofern könnte man Leones Film eine politische Aussage unterstellen.

Der Räuberbaron des Films, Morton, ist nicht nur moralisch korrumpiert und regiert mit dem Dollar, sondern auch innerlich korrumpiert: Die Knochentuberkulose hat ihn gelähmt und bereitet ihm Schmerzen. Er wird mit niederen Lebewesen verglichen, mit einer Schnecke, die ihr Haus mit sich herumträgt und eine deutlich sichtbare Schleimspur hinter sich zurücklässt: die Schienen. Dass er eine Körperrüstung tragen muss, ein Exoskelett, rückt ihn in die Nähe gewisser Ritterfiguren der Alten Welt.

Um sich zu bewegen, klammert er sich an Krücken und ein Gitter von Stangen unterm Dach, als wäre sein plüschig eingerichteter Waggon eine Straßenbahn. Der Zug ist tatsächlich eine Art Schiff. Nach Mortons Willen soll er von Ozean zu Ozean fahren – siehe auch Mortons Erkennungsmelodie. Doch dann strandet dieser Wal irgendwo bei Flagstone in der Halbwüste – und dort wird er zum Zentrum eines Schlachtfelds, zu dem Frank zurückkehrt, bevor er selbst in den Untergang reitet. Und da liegt Morton in einer Schlammpfütze, ohne Exoskelett praktisch nackt, ein gestrandeter Wal, dem Tode geweiht. Das ist fast das einzige Mal, dass Frank Mitleid zeigt.

Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen, scheint sich Frank, der Frühkapitalist, zu fragen? Ganz einfach: Der gesamte Film ist ein Spiel auf Zeit. Jill und ihre Verbündeten Cheyenne und Harmonica stehen auf der einen Seite, Morton und seine Schergen auf der anderen. Und als Frank sich auf der Auktion schon dem Siege naheglaubt, schreiten die beiden Westmänner ein und versalzen ihm die Suppe. Aufgrund dieses Misserfolgs fällt Morton seinem Oberkiller und ärgsten Konkurrenten in den Rücken und beginnt ein neuartiges Kartenspiel: Er spielt mit Dollarscheinen und kauft sich Franks Männer. Frank ist ganz schön geschockt, als er nach dem missglückten Landkauf merkt, dass seine Männer verschwunden sind, die eigentlich Harmonica erschießen sollten – plötzlich ist er selbst die Zielscheibe. Das sind die Folgen der Korruption, die das Geld verursacht. In der Dollar-Trilogie hat Leone das schon in extenso demonstriert.

Frank, Cheyenne und Harmonica gehören einer „ancient race“ an, den Gunfightern. Sie beherrschten den Westen, das Grenzland, doch bereiten sie den Weg für das Eintreffen der Zivilisation/Eisenbahn, die sie hinwegfegen wird. Der Vorgang erinnert an den Untergang der Samuraikultur und entbehrt nicht gewisser Ironie und Tragik. Doch in Harmonica hat Frank seine eigene Nemsis erschaffen, die ihn vernichten wird. Das würde einem Mr. Morton nicht passieren.

Humor

Es gibt unglaublich viel Humor und Ironie in diesem Film. Allerdings funktioniert ja Ironie bekanntlich nur dann, wenn man das Original, die Vorlage kennt, die auf den Kopf gestellt wird. Beispielsweise wirft das Gewehr, das auf Frank zielt, einen vertikalen Schatten, der exakt auf wenige Minuten nach „12 Uhr mittags“ weist auf der Uhr, die darunter aufgemalt ist und keine Zeiger aufweist. Darauf Harmonica zu Frank: „Time sure flies. – Wie die Zeit vergeht.“ Beides ist ein ironischer Verweis auf Fred Zinnemans Filmklassiker.

Die Szene am Bahnhof, wenn eine Fliege in Jack Elams (mit Honig beschmierten) Stoppelbart fliegt und er sie mit seinem Pistolenlauf einfängt, ist pure Slapstick-Komödie. Ich könnte mich bei jedem Ansehen darüber kaputtlachen. Es gibt noch zahlreiche weitere Szenen, die zum Humor beitragen, so etwa die Pistole, die aus dem Stiefel von Cheyenne heraus einen Banditen Mortons erschießt.

[SPOILER] Alternative Fassungen (nach Infos aus IMDb.com – ohne Gewähr):

Die meisten amerikanischen Kopien sind 20 Minuten kürzer als das italienische Original. In ihnen fehlen zwei wichtige Szenen: im Handelsposten die Szene mit Lionel Stander, weil er auf der Schwarzen Liste stand, und der Epilog, in dem Cheyenne stirbt.

Selbst das italienische Original wurde erheblich gekürzt. So fehlt etwa die ursprüngliche Szene nach dem 1. Prolog: Harmonica wird von den Leuten des Sheriffs (Keenan Wynn) zusammengeschlagen. Folge der Kürzung: Später trägt Harmonica eine unerklärliche Narbe im Gesicht. Auch eine Sezene, inder Frank vor der Auktion rasiert wird, wurde gestrichen. In der Original-Eingangsszene sollen ursprünglich Leones Töchter Rafaella und Francesca zu sehen gewesen sein.

Die italienische DVD hat eine erweiterte Fassung, die 171 Minuten umfasst. Wieder sind es die Eröffnungs- und Schussszenen (Pro- und Epilog), die wesentlich länger sind. Nach dem Shootout im 1. Prolog steigt Harmonica auf eines der Pferde der Killer und reitet davon, seinen verletzten Arm haltend.

Ironie der Geschichte: Im US-Fernsehen lief erstmals die vollständige internationale Version von 165 Minuten, nachdem zuvor Paramount in den Kinos nur die 140 Minuten lange US-Version gezeigt hatte, um pro Abend zwei Vorstellungen realisieren zu können. Normalerweise ist es umgekehrt: im Kino die lang-, im Fernsehen die Kurfassung.

Die vorliegende „Special Collector’s Edition“ verwendet die geänderte Schlussmusik, die über den Abspann gelegt ist, sowohl für die englischsprachige 5.1-Tonspur als auch für etwas, das als „English Restored Mono“ Tonspur bezeichnet wird.

Die DVD

DVD-Erscheinungstermin: 2. Oktober 2003
Preis: meistens 16,99 Euro.

Technische Infos:

Bildformate: 2.35:1, 16:9
Tonformate: Dolby Digital Surround, HiFi Sound (v.a. in der engl. Version)
Sprachen: Deutsch (Dolby Digital 1.0) Englisch (Dolby Digital 5.1!!) Französisch (Dolby Digital 1.0) Spanisch (Dolby Digital 1.0)
Sprachen Disc 2/Extras: Englisch mit Untertiteln
Untertitel: Englisch, Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Icelandic, Niederländisch, Italienisch, Hebräisch, Norwegisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Spanisch, Schwedisch, Tschechisch, Türkisch, Arabisch
Untertitel Kommentar: Engl., D, Spanisch, Frz.
Extras:

  • Audiokommentar: Beiträge von John Carpenter, John Milius, Alex Cox (allesamt Regisseure), Filmhistoriker Sir Christopher Frayling, Dr. Sheldon Hall, Darsteller, Crew
  • Eine Oper der Gewalt; Der Preis der Sünde; Dem Tode nahe: 3 Teile einer Making-of-Dokumentation mit Interviews mit: Claudia Cardinale, G. Ferzetti, B. Bertolucci, Kameramann Tonino Delli Colli, Sergio Leone, Henry Fonda (insgesamt ca. 80 Min.)
  • Die Eisenbahn – Revolution des Westens (Featurette, ca. 6:30)
  • Selbstablaufende Fotogalerie: Locations damals und heute
  • Selbstablaufende Fotogalerie: Produktionsfotos (meist s/w)
  • Darstellerprofile (Bio-/Filmografien auf Texttafeln): Henry Fonda, Bronson, Cardinale, Robards, Ferzetti
  • Original-Kinotrailer
  • Das Booklet

Mein Eindruck: die DVD

Zunächst steht der Zuschauer vor der Qual der Wahl, welche der vier möglichen Fassungen er denn ansehen möchte. Da hilft nur Ausprobieren.

Die naheliegendste Fassung für den deutschen Betrachter ist die synchronisierte deutsche Version. Da sind starke Sprüche drin, und etliche davon hat man schon im TV gesehen, vielleicht sogar in anderen Filmen als Zitat.

Der Schock kommt erst, wenn man die deutschen Untertitel zuschaltet. Die Abweichungen der Untertitel von der Synchronisation sind derart gravierend, dass ich stellenweise meinte, einen völlig anderen Film zu sehen!

Ein zweiter – diesmal positiver – Schock ist fällig, wenn man sich die Originalversion ansieht. Der Sound ist um einige Grade besser, und dreht man die Lautstärke ordentlich auf (etwa auf 16 statt der üblichen 12 auf meinem Gerät), so erfüllt der satte Sound von Ennio Morricones Bässen und schrillen E-Gitarren das Wohnzimmer. Wohlige Schauder laufen einem den Rücken runter, und die Emotionen, die Morricone und Leone beabsichtigten, können sich so richtig entfalten. Schlagender beweis: Der Showdown zwischen Harmonica und Frank ist nicht von Totenstille & Musik begleitet, sondern auch von Wind und dem Hämmern der Streckenarbeiter. –

Natürlich kommen nun auch die sprachlichen Feinheiten zum Tragen, so dass man endlich auch die Ironie in manchen Äußerungen hört. Der Dialog (Mickey Knox) umfasste im Skript nur 15 Seiten, dafür aber waren die Regieanweisungen minutiös ausgearbeitet.

Audiokommentare

Die Audiokommentare bilden natürlich die 4. Fassung. Lancelot Narayan, der Regisseur des Making-ofs, begrüßt den Zuschauer. Dann beginnt der Biograph Sergio Leones, Sir Christopher Frayling, mit den ersten seiner äußerst erhellenden und willkommenen Erläuterungen. Er wirkt keineswegs oberlehrerhaft. Er sagt nicht: Schaut mal da! Habt ihr das gesehen? Vielmehr beschränken sich seine Anmerkungen auf einige Besonderheiten und Ungereimtheiten im Film, aber natürlich geht er auch auf die zahllosen Aufnahmen, Dialoge und Motive ein, die Leone & Co. aus dem riesigen Repertoire des US-Westerns zitieren. Davon ist „High Noon“ (1952) ein wichtiger Film, dann natürlich sämtliche John-Ford-Western und schließlich auch Robert Aldrichs Western “ The Last Sunset“ (1961), aus dem Leone den finalen Showdown kopiert hat, der dort zwischen Rock Hudson und Kirk Douglas stattfindet. Frayling erläutert auch diese Szene.

Neben einem weiteren kritiker steuern aber auch vier Regisseure ihre Gedanken und Eindrücke bei: Bernardo Bertolucci natürlich – er hält sich zugute, Leone dazu überredet zu haben, endlich mal eine Frau als Hauptfigur zu nehmen; dann aber auch John Milius, der seinerzeit eigentlich das Drehbuch schreiben sollte; John Carpenter, inzwischen schon weißhaarig und altersfleckig, weiß immer noch, wie man den Betrachter auf bestimmte Besonderheiten an einer Aufnahme hinweist; und schließlich der Regisseur Alex Cox, der auf einige Ungereimtheiten in der Story hinweist und offenbar ebenfalls ein Western-Fan ist.

Das Making-of

… zeigt alle diese Kommentatoren auch im Bild; hinzukommen die noch lebenden Darsteller wie etwa Ferzetti und Cardinale, aber auch Teile der Crew. Es sind auch historische Interviews mit Leone (1984) und Fonda (1975) zu sehen, die sehr interessant sind.

Die achtzigminütige Dokumentation in drei Teilen erzählt von den Vorbereitungen zum Film, der Durchführung und den Folgen für Film und Mitwirkende. (siehe auch den Abschnitt über die „Alternativen Fassungen“). Wohl kein anderer Western wurde derartig verstümmelt und gekürzt wie dieses Meisterwerk.

Der Kameramann Tonino Delli Colli plaudert interessante Anekdoten aus, etwa über die tolle Verwendung des Techniscope-Formats und die Dreharbeiten in Spanien und im Monument Valley. Auch der Production Designer weist Nettes zu berichten. So soll einmal einer der Assistenten vorgeschlagen haben, das quietschende Windrad zu ölen. Leone flippte beinahe aus: „Wenn du das Windrad auch nur anrührst, erwürg ich dich mit eigenen Händen!“ Der Grund: Das Windrad im 1. Prolog ist ein wesentlicher Bestandteil der Soundkulisse Ennio Morricones, die als Musikersatz dient. Das Windrad hat auch Bedeutung für den Plot: Es treibt die Pumpe an, die Wasser in den Tank für die Züge pumpt, aber auch über ein weiteres Rohr Wasser für die Insassen der Bahnstation liefert. Es tropft aus dem Rohr direkt auf Woody Strode Kopf und Hut. Merke: Nicht nur Züge brauchen das kostbare Nass. Und deshalb ist es völlig in Ordnung, wenn ewig der Wind weht und das quietschende Rad antreibt. (Sein Ächzen und Quietschen findet ein Echo als Puffen und Schnaufen von Mortons Lokomotive.)

Die Eisenbahndokumentation fasst die wichtigsten historischen Fakten zusammen und setzt sie in Bezug zum Film. Die Fotogalerie und die Darstellerprofile bieten hauptsächlich Bild- und Textmaterial, die wirklich nur für Sammler dieser Edition interessant sind, ebenso der Originaltrailer.

Wirklich hilfreich und gespickt mit Infos ist das gedruckte und illsurtierte Booklet im Disc-Set. Es fasst die wichtigsten Infos aus Making-of und Kommentaren zusammen – und noch ein wenig mehr. Eine sinnvolle Ergänzung.

Unterm Strich

Mit jedem neuen Anschauen gewinnt dieser Filmklassiker an Dimensionen dazu, nicht nur in bedeutungsmäßiger Hinsicht, sondern auch in emotionaler. Plötzlich repräsentieren die fünf Titanen, die seine Bühne beherrschen, nicht mehr x-beliebige Rollen, sondern Archetypen der menschlichen Existenz. Und für eine Western-Oper ist das eine beachtliche Leistung.

„Spiel mir das Lied vom Tod“ ist die Summe aller zuvor gezeigten Western und zugleich ihre Umkehrung und Weiterentwicklung, nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch in der Bildersprache. Nur ganz große Regisseure können diese Leistung erbringen. Sergio Leone ist einer der ganz Großen. In Paris lief sein Film ab 1968 48 Monate lang ohne Unterbrechung. Das sagt alles. Die Sammler-DVD würdigt sein Werk auf angemessene Weise.

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