Eine Gruppe von Reisenden verbringt ungewollt eine Nacht in einem Berggasthaus, weil eine Lawine eine Verspätung des Zuges verursacht hat. Als die Zugreise wieder beginnt, ist eine junge Frau (Lockwood) wenig später davon überzeugt, dass ihre Mitreisende, die reizende Dame Miss Froy, entführt worden sei. Doch keiner glaubt ihr, und sie muss die anderen von Miss Froys Verschwinden überzeugen. Nach mehreren Versuchen stößt sie auf eine unglaubliche Verschwörung…

Filminfos

  • O-Titel: The Lady vanishes (GB 1938)
  • Dt. Vertrieb: Falcon Neue Medien
  • FSK: ab 16 
  • Länge: ca. 105 Min.
  • Regisseur: Alfred Hitchcock
  • Drehbuch: Sidney Gilliat und Frank Launder nach dem Roman „The Wheel Spins“ von Ethel Lina White
  • Musik: Louis Levy 
  • Darsteller: 
    • Margaret Lockwood als Iris Henderson
    • Michael Redgrave als Gilbert
    • Paul Lukas als Dr. Hartz
    • Dame May Witty als Miss Froy (die verschwindet)
    • Cecil Parker als Mr Todhunter
    • Linden Travers als Mrs Todhunter
    • Naunton Wayne als Caldicott
    • Basil Radford als Charters
    • Mary Clare als Baroness
    • Emile Boreo: Hotelmanager
    • Googie Withers: Blanche
    • Sally Stewart: Julie
    • Philip Leaver: Signor Doppo
    • Zelma Vas Dias: Signora Doppo
    • Catherine Lacey: Die Nonne
    • Josephine Wilson: Madame Kummer
    • Charles Oliver: Der Offizier
    • Kathleen Tremaine: Anna
    • u.a.

Handlung

Eine Gruppe von Zugreisenden muss zwangsreise in einem kleinen Bergdorf in Bandrika Zwischenstation machen, denn eine Lawine hat die Bahnstrecke blockiert. Alle sind ungeduldig, dass es bald weitergeht, doch zu allem Überfluss hat der einzige Gasthof am Ort nicht genügend Zimmer. Boris, der Direktor dieser noblen Hütte, steckt einfach die Passagiere so zusammen, wie es ihm (und seinem Geldbeutel) am besten passt. 

Drei junge Damen, darunter Miss Iris Henderson, werden zusammen in einem Zimmer untergebracht, und die zwei britischen, nur an Cricket interessierten Herrn Caldicott und Charters müssen mit einem Lager im Zimmer des Dienstmädchens vorliebnehmen – das natürlich kein Wort Englisch versteht. Und selbstredend ist die Begleiterin (sprich: Geliebte) des angehenden Richters Todhunter unzufrieden: Es gibt kaum noch was zu essen. Miss Froy, die sechs Jahre in Bandrika als Gouvernante und Musiklehrerin verbracht hat, gibt den darbenden Neuankömmlingen etwas ab. 

Als Iris Henderson die alte Lady, Miss Froy, auf ihr Zimmer bringt, hört sie über sich einen infernalischen Lärm: Es ist der Musikologe Gilbert, der einen lokalen Tanz Bandrikas einstudiert. Iris bezahlt Boris, damit er diesen Lärm abstellt, was auch prompt geschieht. Doch Gilbert revanchiert sich für die Bosheit, indem er sich unversehens in Iris’ Zimmer einquartiert und zu rasieren beginnt. Erst als sie Boris herbeiruft, verzieht sich der Eindringling wieder und Iris kann wieder eine ungestörte Nacht verbringen. In eben dieser Nacht wird der bandrikische Sänger erwürgt. Das Land ist keineswegs friedlich…

Abfahrt

Am nächsten Morgen verfehlt ein Blumentopf um ein Haar Miss Froy und fällt auf Iris’ Kopf. Als ihr klar wird, dass eigentlich Miss Froy das Ziel war, kommen ihr Zweifel, ob die Weiterfahrt so angenehm sein wird, wie sie hoffte. Alle ihre Befürchtungen soll sich bewahrheiten. Sie soll nach England fahren, um einen Sir Charles Fotheringay zu heiraten, doch wenn, nein, falls sie dort lebend ankommt, wird sie nicht mehr die gleiche sein. Im Waggon verliert Iris das Bewusstsein.

Der Zug fährt ab, fast alle Übernachtungsgäste sind an Bord. Miss Froy, die alte Lady, gibt der wieder erwachten Iris im Speisewagen einen stärkenden Tee zu trinken, den sie selbst mitgebracht hat. Nach dieser netten Plauderei und dem Tee schläft Iris schon wieder ein. Als sie wieder aufwacht, ist die alte Dame verschwunden. Als sie ihre Mitfahrer nach ihrem Verbleib fragt, erntet sie nur verständnislose Blicke: welche Dame denn? Nach einer Weile zweifelt die junge Frau an ihrem Verstand: Hat sie sich Miss Froy nur eingebildet? 

Die Suche

Zusammen mit dem Musikologen Gilbert – ausgerechnet! – macht sie sich im ganzen Zug auf die Suche, denn er hat Mitleid mit ihr und spricht zudem die Landessprache. Auf ihrem Weg stoßen sie auf paar merkwürdige Fahrgäste, darunter einen Gehirnchirurgen und eine verkleidete Nonne, und beobachten unerklärliche Vorfälle. Als die ersten Schüsse fallen, wird Iris schließlich klar, dass sie mitten in einem lebensgefährlichen Abenteuer steckt. Aber wo ist nur Miss Froy abgeblieben?

Mein Eindruck

Dass dieses Agentenspiel sehr viel auch mit Versteckspiel zu tun hat, erklärt sich aus dem Milieu. In zahlreichen Hitchcockfilmen aus dieser Zeit treten Agenten auf und später potentielle Mörder. In jedem Fall ist ihre Identität nie eindeutig, und schon bald entpuppen sich auch fast alle Passagiere, die Iris Henderson anspricht, als getarnte Feinde oder Doppelgänger. Nicht jeder Ggetarnte ist so leicht zu entlarven wie die Nonne, die hochhackige Schuhe trägt. Und selbst Miss Froy ist als bandagierte Patientin des sinistren Dr. Hartz nicht zu erkennen. Sie hat ebenfalls eine zweite Identität: als Gegenspionin des britischen Außenministeriums. Die einzigen eindeutigen Identitäten gehören Iris selbst und ihrem Helfer in der Not, dem Musikologen Gilbert (Redgrave). 

Musik als Motiv

Es gibt einen eindeutigen thematischen Komplex im Zentrum des Films: Musik und Schlaf. Musik ist der Harmonie verpflichtet und smit die Gegnerin des Chaos. Es ist bedeutsam, dass die Geheimbotschaft, die Miss Froy nach London übermitteln soll, in einer Melodie besteht. Auch wenn das Konzept an sich, einen Friedensvertrag als Melodie zu kodieren, lächerlich absurd ist. Das war auch Hitchcocks Absicht, und wer auf diesen McGuffin achtet, ist selber schuld.

Böse Menschen haben jedoch keine Melodien – vielmehr schießen sie lieber in diesem Film. Dazu gehört vor allem Iris’ und Gilberts Gegenspieler, der deutsche Arzt Dr. Hartz, der ein berühmter Gehirnchirug sein will – und sich schon darauf freut, das Gehirn von Miss Froy außer Funktion zu setzen. Diese furchteinflößende Figur erinnerte mich an Dr. Mengele, der Todesengel des KZ Auschwitz. Typisch, dass er der Rädelsführer des Spionagerings von Bandrika ist, über Gift verfügt und keinerlei Skrupel kennt, um Iris und Gilbert zu beseitigen. Seine enge Verbündete ist die Baronin, die Frau des Propagandaministers von Bandrika. Auch sie hat einen kalten Blick – und keinen Sinn für Musik.

Schlaf als Motiv

Mit seinem Gift versetzt Hartz Iris und Gilbert scheinbar in Schlaf – neben  Musik das zweite Hauptmotiv der Handlung. Schlaf des Todes liegt in Hartz’ Absicht. Doch Schlaf ist ein trügerischer Bundesgenosse, sowohl für ihn und für die junge Iris. Im Schlaf verliert sie Miss Froy und im Schlaf täuscht sie Hartz so sehr, dass er sie und Gilbert nicht mehr beachtet – bis sie entkommen können. Bezeichnenderweise versuchen am Anfang des Films Iris und die britischen Gentlemen Schlaf zu finden, meist vergeblich: Beide Parteien werden von Eindringlingen gestört. Der bandrikische Sänger, der den Schlaf stört, wird sogar erdrosselt. Schlaf bzw. Frieden ist in der Tat nicht nur ein kostbares Gut, für das manche töten, sondern auch ein trügerisches, das weder echt noch wahr ist. 

Aussagen und Botschaften

Dies ist eine gut versteckte Aussage der Drehbuchautoren und des Regisseurs über die politische Lage in Großbritannien am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Die britische Zensur erlaubte keine deutlichere politische Stellungnahme, denn man bemühte sich offiziell um Neutralität gegenüber dem expandierenden Nazideutschland. Daher musste das Land, in dem die Filmhandlung beginnt, umbenannt werden: Die Sprache Bandrikas klingt wie eine Kombination aus Italienisch und Deutsch, doch an der Wand des Gasthofs steht eindeutig „Bürgerbräu“! Hitchcocks Film warnt vor Selbstzufriedenheit und ruft zu Wachsamkeit und Aktivität auf.

Der Titel

Doch es gibt eine klare Botschaft durch den Titel, denn der hat nicht weniger als drei Bedeutungen. Zunächst verschwindet natürlich Miss Froy. Dann gibt es noch das Zauberkunststück des Magiers Doppio, das so heißt: eine Kabine mit einer Drehtür – kaum siehst du sie, schon ist si weg. Das alte Spiel mit falschen Identitäten und Wahrheiten. Und die dritte verschwindende Dame ist in der Tat die Heldin selbst. Iris Henderson verschwindet in der Schlussszene mit Gilbert und lässt ihren Verlobten Sir Charles vergeblich nach ihr Ausschau halten. Sie hat ihr Leben selbst in die Hand genommen und die am Anfang resignativ hingenommene Aussicht, auf einem öden Adelssitz als Gebärmaschine zu dienen, von sich gewiesen. Sie kontrastiert sehr schön mit den zwei Old Boys, die nur an Cricket interessiert sind und am Schluss belämmert dreinschauen, als das Meisterschaftsspiel abgesagt wird.

Die Bildsprache

Das zentrale Bildmotiv ist – nach dem Gasthof – der Zug. Er bringt die Menschen nicht nur von A nach B, sondern auch von der Vergangenheit in die Zukunft. Es ist der Zug des Lebens, wie er im Jahr vor dem Ausbruch des 2. Weltkriegs durch Europa fuhr. Und zwar mit hoher Geschwindigkeit. Die Räder der Lokomotive rauschen nur so vor der Kamera vorüber, und die Gleise verschwimmen beinahe vor ihr – ganz besonders dann, wenn sich die noch von dem Schlag auf den Kopf benebelte Iris Henderson darauf konzentrieren will. In einem hünschen Trickshot wird Iris sogar in einer Kaleidoskoplinse dargestellt, erst mit drei Köpfen, dann mit sechs. Die Verwirrung ihres Geistes ist offensichtlich (und symbolisch für Europa). 

Viele der Eisebahnaufnahmen wurden mit einer Modelleisenbahn gedreht, und auch das verschneite Dorf Bandrika, über das Kamera am Anfang wie das Auge Gottes hinwegfliegt, ist ein – sehr schönes – Modell. Sogar ein Auto scheint über die Straße zu fahren… Die Tricks von 1938 sind im Vergleich zu heute primitiv, aber das macht nichts: Der Eindruck zählt, und der stimmt.

Die DVD

Technische Infos

  • Bildformate: 4:3 (s/w)
  • Tonformate: D und Englisch in mono
  • Sprachen: D, Englisch
  • Untertitel: keine
  • Extras:
    • Kapiteleinteilung

Mein Eindruck: die DVD

Die Qualität der DVD ist in jeder Hinsicht bescheiden. Obwohl das Bild ganz in Ordnung ist, prunkt die Tonspur nicht gerade mit Dolby Surround: Hier erklingt akustische Mono-Magerkost. An Zusatzmaterial hat man der Silberscheibe auch nichts mitgegeben, nicht einmal Bio- und Filmografien. 

Auf dem Einleger sollten die Kapitelüberschriften in Deutsch und Englisch abgedruckt sein, doch in meinem Amaray-Case fehlt dieser Einleger. Ganz allgemein möchte ich dem Besitzer der DVD dringend dazu raten, sich die Originalfassung anzuhören, denn hier sind die Dialoge wesentlich witziger und bissiger und anschaulicher als im deutschen Pendant. Dieser bilderreiche Sprachwitz geht in der Synchro doch in einem beträchtlichen Maße verloren.

Unterm Strich

„Eine Dame verschwindet“ ist nach Angaben von Hitchcock-Experte Donald Spoto immer noch einer der zwei, drei meistgezeigten Klassiker des Regisseurs aus dieser Periode um 1938. Das hat nicht nur mit dem wundervollen Humor zu tun, sondern auch mit dem kniffligen Such- und Versteckspiel im Zug, das in einer wilden Schießerei endet. Doch das Gute triumphiert dank des Beherztheit seines zwei Hauptvertreter Iris und Gilbert. Natürlich tun sich die beiden für eine rosige, aber tätig erarbeitete Zukunft zusammen. Interessanterweise, so Spoto, war es dieser Film, der Hollywood-Mogul David O. Selznick auf Hitchcock aufmerksam machte. Selznick holte ihn über den großen Teich, so dass er dort Klassiker wie „Rebecca“ drehen konnte.

Es ist nicht einfach, eine DVD zu bewerten, in der der Film ausgezeichnet ist, die Ausstattung der Silberscheibe aber äußerst bescheiden. Ich vergebe daher nur drei von fünf Sternen.

Mima2016: 3 out of 5 stars (3 / 5)

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