Ein Fotoreporter glaubt, im gegenüberliegenden Trakt seines Mietblocks einen Mord beobachtet zu haben, allein es fehlen ihm sämtliche Beweise. Alle zweifeln an den Schlüssen, die er aus den Indizien zieht. Doch dann geschieht ein weiterer Mord. Seine Freundin Lisa beschließt, die fehlenden Beweise zu beschaffen und begibt sich unversehens in Lebensgefahr. Doch nun erfährt der mutmaßliche Mörder, wer ihm auf die Schliche gekommen ist – und konfrontiert den vermeintlichen Erpresser…

Filminfos

  • O-Titel: Rear Window (USA 1954)
  • Dt. Vertrieb: Universal
  • VÖ: 16. 05. 2013
  • EAN: 5050582941357
  • FSK: ab 12
  • Länge: ca. 112 Min.
  • Regisseur: Alfred Hitchcock
  • Drehbuch: John Michael Hayes nach einer Vorlage von Cornell Woolrich
  • Musik: Franz Waxman
  • Darsteller: James Stewart, Grace Kelly, Raymond Burr, Thelma Ritter, Wendell Corey u.a.

Handlung

Der Kriegsveteran und Fotoreporter L.B. „Jeff“ Jefferies (Stewart) hat einen Unfall erlitten und sitzt mit einem Gipsbein in seiner Junggesellenbude. Neben dem Ausblick aus seinem Fenster zum Hinterhof seines Wohnblock im New Yorker Stadtteil Greenwich Village bringt nur der tägliche Besuch seiner Masseurin Stella (Thelma Ritter), die seine Krankenversicherung bezahlt, Abwechslung in seinen eintönigen Alltag. Noch eine Woche muss er diesen Gips tragen. Währenddessen bekommen seine Kollegen die aufregenden Aufträge. Jeff ist rechtschaffen „unzufrieden mit seiner Gesamtsituation“.

Heute bringt der Besuch seiner Freundin Lisa Carol Fremont Licht in seine düsteren Gedanken. Gehüllt in Chiffon und Seide (Kostüme von Edith Head!) wirbelt sie in seine Bude wie ein Wesen von einem anderen Stern. Nachdem sie ihn zur Begrüßung geküsst hat, fragt er sie deshalb sicherheitshalber: „Who are you?“ Nach ihrer Selbstvorstellung ist klar, dass sie zu den Oberen Zehntausend der Stadt gehört, im Modegeschäft arbeitet und dass das Modemagazin „Harper’s Bazaar“ ihre Lieblingslektüre darstellt. 

Als Krönung des Abends lässt sie ein Dinner aus dem Gourmetrestaurant „21“ inklusive Hummer servieren. Ist das nicht der Himmel auf Erden? Keineswegs, grummelt Jeff. Denn Lisa ist viel zu perfekt in seinen Augen, die im Krieg und anderswo schon alles gesehen haben (ein einführender Schwenk zeigt uns Jeffs Staraufnahmen, darunter einen Atompilz und einen abhebenden Rennwagen). Es scheint, als könne der Graben zwischen diesem ungleichen Paar nie überbrückt werden. Doch es kommt alles ganz anders…

Verbrechen? Welches Verbrechen?

Als Fotograf ist Jeff es gewöhnt, alles was ihm vors Auge oder die Linse kommt, ganz genau zu beobachtet. So fällt ihm eines Nachts auf, dass Mr. Thorwald von gegenüber nachts in strömendem Regen zwei Metallkoffer aus dem Haus trägt, dass die Jalousien seiner Wohnung herabgelassen sind und dass seine kranke und nörgelnde Frau keinen Piep mehr von sich gibt. Am nächsten Morgen späht Jeff durch seine stärkste Linse und entdeckt, wie Mr. Thorwald eine Säge und ein langes Messer in eine Zeitung packt. Außerdem führt er Ferngespräche und begutachtet den Schmuck seiner plötzlich verstummten Frau. 

Es dauert eine Weile, bis Jeff seinen finsteren Verdacht Lisa plausibel machen kann, und auch sein Freund Doyle von der Mordkommission findet immer wieder Einwände und Gegenbeweise. Nur Stella leuchtet die ganze Sache völlig ein, denn als New Yorkerin hat sie eine entsprechende Vorstellungskraft. Zusammen stehen sie und Lisa Jeff bei, als es darum geht, Fakten zu sammeln und Beweise zu besorgen. Gerade als sie aufgeben wollen, geschieht ein weiterer Mord.

Nie im Leben hätte sich Jeff vorstellen können, dass seine schicke Bonzenfreundin mal in die Wohnung eines Mörders steigen würde. Er bangt mit zitterndem Teleobjektiv um Lisa, als sie gegenüber nach dem Schmuck einer verschwundenen Frau sucht. Seine beklommenen Rufe verhallen ungehört, als eben jener Mörder gerade zurückkehrt…

Mein Eindruck

Wir alle sind Voyeure in unserem Leben, eingesperrt im Gefängnis unseres Privatlebens, und wenn wir die Augen öffnen und uns umsehen, erblicken wir das übliche Kriegsgebiet: Es ist der ewige Kampf der Geschlechter, und täglich fordert er seine Opfer. Mann und Frau sind einfach nicht füreinander geschaffen, scheint die Aussage zu sein. 

Erotische Anblicke, für die der Junggeselle Jeff empfänglich ist, gibt es zwar allenthalben, aber es sind alles Single-Girls – anno 1954 waren das verbotene Früchte. Die anderen Singles betrinken sich, die Frischverheirateten kommen aus dem Bett nicht raus. Es gibt nur drei Ehepaare im gegenüberliegenden Haus, und die Ehe der Thorwalds nur eines davon. Die Menschen leben nebeneinander her, genau wie heute. Doch dann verschwinden erst eine Frau, dann stirbt ein kleiner Hund. 

Kriegsreporter Jeff ist also völlig in seinem Element, als er Unrat wittert und die Behörden zum Einschreiten auffordert. Doch die Mordkommission tut das genaue Gegenteil und lässt ihn schmählich im Stich, indem sie Gegenbeweise präsentiert. Denn Mr. Thorwald, ansonsten nur ein simpler Vertreter für billigen Schmuck, hat den perfekten Mord begangen. Denkt er. 

Denn Jeff und sein weibliches Assitenten-Duo lassen nicht locker, selbst wenn es – nur für uns! – so aussieht, als sei Mrs. Thorwald noch am Leben. Die amateurhafte Ermittlung wird zu einer Prüfung von Loyalität – und von Liebe. Denn als er seine Lisa in den Fängen des mutmaßlichen Mörders erblickt und die Polizei zu Hilfe ruft, merkt Jeff endlich, wieviel sie ihm in Wahrheit bedeutet. Grace Kelly mag zwar anfangs die Glamour-Prinzessin par excellence sein, doch sie beweist – wie später in „To catch a thief“ – dass sie eine hervorragende Schauspielerin ist, die auch handfeste Rollen spielend bewältigt, etwa als Einbrecherin und als Reporterbraut in – urgs! – Blue Jeans. 

James Stewart hat hier eine seiner besten Rollen. Für Hitchcock, seinen Freund, spielte er in „Rope“ (eine klare Fehlbesetzung), „The Man Who Knew Too Much“ (neben Doris Day) und in „Vertigo“ (neben Kim Novak). Aber Stewart darf hier den ungehobelten Yankee aus der Provinz spielen, deutlich erkennbar an seinem Akzent (natürlich  nur im Original). In krassen Gegensatz tritt Grace Kelly als Glamourgirl auf, das versucht, den angeblich außer gefecht gesetzten Kerl aufzupolieren und auf ihre Seite zu ziehen. Es tobt also auch ein kleiner Machtkampf zwischen den beiden, genau wie ihn Hitch in seinem Film durchexerziert. 

Bis in die Nebenrollen ist der Film ausgezeichnet besetzt. Thelma Ritter spielt die neugierige, patente, lebenskluge und abgebrühte New Yorkerin (sie ist auch in „Bettgeflüster“ neben Doris Day zu sehen). Wendell Corey spielt den abgeklärten Detective Doyle, der meint, er habe Besseres zu tun, als den Hirngespinsten paranoider Fotoreporter nachzugehen. Raymond Burr, der später selbst einen Detektiv spielen sollte, gibt den mutmaßlichen Mörder. Was er sagt, ist meist nicht zu verstehen, weil seine Wohnung zu weit weg von Jeffs eigener liegt. Dadurch ergibt sich eine kuriose Mischung aus Ton- und Stummfilm. Erst während des Showdowns darf Burr als Thorwald ein paar Sätze sagen, doch wichtiger ist sein Agieren, als James Stewart alias Jeff seine Geheimwaffe gegen ihn einsetzt..

Die Blu-Ray

Technische Infos

  • Bildformate: 2,35:1 (anamorph)
  • Tonformat: DTS 2.0
  • Sprachen: D, Englisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Spanisch
  • Untertitel: D, Englisch, F, I, E, JP
  • Extras:
    • Zahlreiche Dokumentationen und Interviews, siehe unten.

Mein Eindruck: die Blu-Ray

Das Bild, so macht der im Making-of vielfach demonstrierte Vergleich mit der bisherigen Fassung deutlich, ist um Klassen besser als das, was wir bislang zu sehen bekamen. Auf der Blu-ray ist die Auflösung natürlich nochmal um einiges höher (und wird es auch im kommenden 4K-Standard sein). 

Der Ton musste ebenfalls aufwändig und sorgfältig restauriert werden. Das Material, so der Tenor des Making-of, muss kurz vorm Verfall gestanden haben. Dennoch überzeugte mich gerade der unglaublich intensive erste Kuss durch eine weiche Musik und klangvolle Sprachwiedergabe, ansonsten ist eine vielfältige Musikkulisse – ein Komponist ist Jeffs Nachbar – und geräuschkulisse zu vernehmen. Mit anderen Worten: Dies ist zwar ein im Studio erbauter Mikrokosmos, aber er sieht genauso aus wie das „richtige“ Leben. 

Ich habe die mit Untertiteln unterlegte englische Tonspur angehört – die deutsche Synchronfassung gefällt mir nicht. Dabei habe ich zahlreiche anzügliche und schlüpfrige Anspielungen entdeckt. So wurde der Film zu purem Vergnügen. 

EXTRAS

  1. Making-of (ca. 55:00 min): Wie bei allen Making-ofs der Hitchcock-Reihe von Universal beginnt das Making-of mit der Schilderung der Entstehung des Films. Er beruht auf einer Kurzgeschichte des Krimiautors Cornell Woolrich. Doch die komplette Romanze ist allein Hitchs Erfindung und die seines Drehbuchautors. Als der Dreh im Studio begann, war der Film in Hitchs Kopf bereits komplett fertig. Die Bühne musste für den Dreh des Wohntraktes, in dem Mr. Thorwald wohnt, umgestaltet werden; der Keller, wo normalerweise nur Kabel und Leitungen verlaufen, musste das Erdgeschoß darstellen. Der Regieassistent erzählt, dass für jede der vier gezeigten Tageszeiten jeweils ein Beleuchtungsschema vorhanden war. Man konnte also mit nur einem Knopfdruck von „Vormittag“ auf „Mitternacht“ umschalten. 

    Der Drehbuchautor und Regisseur Curtis Hanson („L.A. Confidential“) und einige andere Leute tragen ihre Einschätzungen zu diesem bemerkenswerten Film bei und erhellen so manche Aspekte (die ich oben in meinen Eindruck übernommen habe). Dabei zeigt sich wieder einmal, dass Hitch aus seiner Berliner Zeit Stilmerkmale des deutschen Expressionismus („Dr. Caligari“) übernommen hat und es liebt, eine Geschichte nur in Bildern zu erzählen (genau wie in „Vertigo“).

    So erfahren wir quasi Jeffs komplette Biografie nur aus dem ersten Schwenk durch seine Bude. Es lohnt sich daher, jedem Bild zu folgen, das die Kamera einfängt – sogar den Hubschrauber, der auf die mutmaßlich halbnackten Sonnenanbeterinnen herabblickt, die es sich auf dem Dach des gegenüberliegenden Traktes gemütlich machen. Auch Miss Torso, die Ballettamateurin, hat so einige knackige Anblicke zu bieten – und davon erzählt die Schauspielerin hier ebenfalls.

    Schade, dass weder James Stewart noch Grace Kelly, die spätere Fürstin von Monaco, ein Wörtchen zu diesem Werkstattbericht beitragen können. Stattdessen erfreut uns Patricia, Hitchs Tochter, mit zahlreichen privaten Anekdoten aus dem Leben ihres Vaters – genau wie in allen anderen Making-ofs dieser Reihe. Auch Martin Scorsese ist wie so häufig mit von der Partie, und Regisseur Peter Bogdanovich erzählt eine wunderbar witzige Anekdote über den Meister.
  2. Eine Unterhaltung mit Drehbuchautor John Michael Hayes (13:10 min.): Hayes brachte die Kombination aus Spannung und Humor ein, die den Film auszeichnete. Es half auch, dass seine Frau ein ehemaliges Modemodell war und das Vokabular aufwerten konnte, das Grace Kelly verwendete. Hitch und Hayes waren entschlossen, die kühle Performance Kellys in „Bei Anruf Mord“ aufzulockern und sie lebendiger und kreativer auftreten zu lassen. 
  3. Pures Kino – Mit den Augen des Meisters (25:15 min): Wodurch entsteht die besondere Wirkung eines Hitchcock-Films? Die Antworten auf diese Frage liefern Fachleute wie John Carpenter, Guillermo del Toro, Martin Scorsese, William Friedkin, aber auch Kritiker wie Biograph Donald Spoto sowie Ton- und Kamerafachleute. Ganz wichtig ist dabei die Schnittechnik, die Montage, lange dialoglose Szenen, verräterische Details, ungewöhnliche Kamerawinkel usw. Ganze Kapitel sind dem Point of view gewidmet, der den Zuschauer durch subjektive Kamera in das Bewusstsein der jeweiligen Figur versetzt. Zu guter Letzt wird das Mittel der Nahaufnahme vs. Weitwinkelaufnahme entschlüsselt. 
  4. Barrieren durchbrechen: Hitchcocks Sound (23:31 min): Eine exzellente Dokumentation, die sich nur mit dem akustischen Erscheinungsbild der AH-Filme beschäftigt. Ton ist für AH Teil der sinnlichen Gesamterfahrung des Zuschauers und ein Kanal, um dessen Unterbewusstes zu erreichen und seine Emotionen zu steuern. Die Anweisungen AH’s für alle seine Filme waren äußerst detailliert – allein neun Seiten für „Die Vögel“. Denn in „Die Vögel“ verlässt AH die gewohnten Pfade, die für Spannungs- und Liebesfilme entsprechende Musikuntermalung vorschreiben und ersetzt den Score durch eine Vielzahl von natürlichen und künstlichen Geräuschen und Effekten. Diese Effekte erzeugte sein Mitarbeiter Oskar Sala auf dem Trautonium, in dem sie gespeichert und bearbeitet werden konnten: „musique concrète bzw. Musik des Realen“.

    AH verunsicherte den Zuschauer dadurch, dass er die Bindung zwischen Bild und Ton aufhob und stattdessen das Bild entweder mit inkongruenten Geräuschen unterlegte (die Thorwalds sind mit Polizeisirenen und Nebelhörnern unterlegt) oder mit Stille, die dann umso stärker in eine emotionales Geräusch explodiert, z.B. einen startenden Motor. Dass die Musik eine große Rolle spielte, braucht man wohl kaum erwähnen. Sie ist in „Vertigo“ omnipräsent, in „Rear Window“ spiegelt sie die Emotionen Jeffs wider. 
  5. Truffaut-Interview zu „Rear Windows“ (16:14 min): 1962 führte Regisseur Francois Truffaut mehrere Interviews mit Hitchcock. Dieser Ausschnitt von einer guten Viertelstunde beschäftigt sich nur mit „Rear Window“. Eine Simultandolmetscherin übersetzt zwischen Englisch und Französisch, was ein klein wenig stört. Aber sowohl Truffaut als auch AH liefern wertvolle Statements über den Film, begleitet von illustrierenden Szenen und Fotos. 
  6. „Die Meister des Kinos“ (33:25 min): Dieser Beitrag besteht aus zwei Interviews für eine amerikanische TV-Show. Pia Lindstrom und später William Everson stellen AH Fragen zu seinen Intentionen, Erfahrungen, Problemen und Ansichten. Am interessantesten fand ich AH’s Aussagen und Anekdoten aus seiner zeit in neubabelsberger, den Studios der UFA, und in München ca. 1924. Dort arbeitete er als Drehbuchautor, Art Director und schließlich Regisseur. Dort lernte auch, mit Bildern zu erzählen und so viele Szenen wie möglich in einer kontrollierbaren Umgebung zu realisieren, nämlich einem Studio-Set. 
  7. Filmkommentar von John Fawell, Autor des Buches „Hitchcock’s REAR WINDOW: The Well-Made Film“.: Der Dozent für Filmkunst überraschte mich mit einer Fülle wertvoller Hinweise auf Ironien, Parallelen und visuell-auditiven Übergängen. So ist Lars Thorwald ganz Jeffs Doppelgänger und Mrs. Thorwald ist Lisas Doppelgänger: Sie trägt das gleiche Nachthemd. Aber auch Miss Lonelyhearts, die sich um ein Haar umbringt, ist Lisas Doppelgänger, denn sie trägt das gleiche Armband. Tatsächlich sind alle Frauen und Paare, die Jeff beobachtet, Reflexionen seiner Fantasie über die Beziehung zu Lisa. Bis die Fantasie zur Realität wird und zurückbeißt…

    Hier ist sehr viel über Hitchcocks einzigartigen Filmstil und seine Design-Bewusstheit zu lernen – so viel, dass ich an manchen Stellen verblüfft war und umgehauen wurde. 
  8. Produktionsfotos (3:07 min): Die Diaschau zeigt, untermalt vom Film-Score, internationale Filmplakate, Aushangfotos, Bilder vom Dreh und schließlich PR-Aufnahmen. Kuriose Einfärbungen, z.B. erscheint Grace Kellys Kostüm in „Rear Window“ nicht nilgrün, sondern knallrot.
  9. Original-Kinotrailer (2:40 min): Der Kinotrailer ist für heutige Begriffe sehr sonderbar. Ein Off-Kommentator bewirbt den Film und fordert den Zuschauer heraus, ihn sich anzusehen. 
  10. Neuauflage des Trailers, erzählt von James Stewart (6.14 min): Hier handelt es sich nicht um den Trailer zu „Rear Window“, sondern zu allen fünf neuen aufgelegten und restaurierten AH-Filmen: Rope, Rear Window, Vertigo, The Man Who Knew Too Much und schließlich The Trouble With Harry. Wunderbare Farben, aber die Diaschau hatte ein klein wenig Probleme mit der flackernden Wiedergabe. 

Unterm Strich

Hitchcock macht uns hier gleich doppelt zum Voyeur. Zum einen schauen wir die ganze Zeit Jefferies zu, wie der die ganze Zeit seinen Nachbarn und schließlich Lisa zuschaut. Wir sehen also quasi einen Film im Film – sehr trickreich und nicht ohne Folgen. Denn wie ethisch vertretbar ist es, dass ein Fotoreporter, also ein Vertreter der Medien, sich seine Umgebung sogar mit dem Teleobjektiv anglotzt? Er ist keinen Deut besser als der Hubschrauberpilot, der sich die halbnackten Sonnenanbeterinnen von oben anschaut. Perfiderweise macht uns der Film zu Jeffs Komplizen, obwohl wir Normalbürger ja eigentlich die von den Medien Beobachteten sind! Hitchcock dreht also den Spieß um. 

Der ganze Voyeurismus wäre harmlos, gäbe es da nicht zwei Morde – und einen drohenden dritten. Mord Nr. 1 ist quasi unsichtbar und nur durch Indizien festzustellen, von Beweisen ganz zu schweigen. Mord Nr. 2 bezeichnet die Mitte des Films und ein Kippen der bislang relativ harmlosen Stimmung: Die Besitzerin des ermordeten Wesens wendet sich wie in einem Theaterstück an die versammelte Nachbarschaft und klagt darüber, wie jemand so böse sein kann, ein unschuldiges Wesen zu ermorden?! Jetzt ist auf einmal Anteilnahme gefordert. 

Diese Anteilnahme drängt unseren Beobachter (und uns mit ihm), etwas gegen den Mörder zu unternehmen. Perfiderweise sind für den gewünschten Erfolg zwei Opfer nötig: Die Herzallerliebste unseres Beobachters begibt sich in Lebensgefahr – dito schließlich ihr Komplize, nämlich unser Beobachter selbst. War bislang der gegenüberliegende Wohnblock der weit entfernte „Kriegsschauplatz“, so kommt der Krieg nun nach Hause, direkt in Jimmy Stewarts Wachposten-Bude. Aus dieser Umkehrung und Zuspitzung lassen sich viele kritische Aussagen über die Rolle der Medien ableiten. Aber das würde hier zu weit führen. (Inzwischen versetzt uns das Internet in alle drei Positionen: Wir sind Beobachter, Beobachteter und moralische Instanz in einem.)

Favorit

„Rear Window“ ist mein liebster Hitchcock, er ist noch besser als das verwickelte „Vertigo“ (vier Ebenen!) und als das moralisierende Psycho“ (in dem die Diebin Marion Crane / Janet Leigh von vornherein hinter Gittern erscheint und ihr verdientes Ende finden wird). Aber „Rear Window“ ist nicht nur mit einer äußerst interessanten und weiterhin aktuellen Aussage versehen, sondern auch mit exzellenten Schauwerten: einem Wohnblock im Studio, Grazien en masse – und natürlich die fabelhafte Grace Kelly. Die restaurierte Fassung bringt die Farbenpracht des Originals voll zur Geltung. 

Nicht genug damit, enthüllt das englische Original einen hinterlistigen, doppelbödigen und schlüpfrigen Humor, den sich nur ein Meister wie Hitchcock leisten durfte. Schon im ersten Auftritt stellt Stella (Thelma Ritter) Jeff als einen „window shopper“ hin, als einen lüsternen Voyeur, der einen „red-hot poker“ sein eigen nennen darf, also einen rotglühenden Schürhaken… Assoziationen sind willkommen, aber „to poke“ hat zusätzlich noch die Bedeutung „stochern“. Stella prangert Jeff also unterschwellig als alten Lüstling dar, und das wäre er in der Tat, gäbe es da nicht seinen erlösenden Engel namens Lisa Carol Fremont (Kelly), seine Liebe zu ihr und die Aufgabe einer anteilnehmenden Mordermittlung, die sein Beobachten auch moralisch rechtfertigt – erst dann sind „rear window ethics“ okay. 

Jeff mag eine Art Faust sein, aber er kann aus seiner Hölle erlöst werden – durch die Liebe und die soziale Anteilnahme, bei der er sein eigenes Leben und das seiner Freundin aufs Spiel setzt. Wir dürfen alle aufatmen und mitlachen, wenn wir ihn am Schluß nicht mit einem Gipsbein sehen, sondern mit zweien. 

Am Anfang und am Schluss sehen wir „Jeff alias James Stewart schlafen. Das ist sicherlich Absicht, wie alles in diesem Film. Es kann also durchaus sein, dass wir nur einen Blick in Jeffs überhitztes Hirn tun dürfen – es herrschen 92° Grad Fahrenheit (33,3° C) – und sich die ganze Geschichte als sein Traum herausstellt, als der Fiebertraum eines Peeping Tom. 

Die Blu-ray

Die Blu-ray bietet noch mehr Bonusmaterial als die DVD der restaurierten Fassung. Zwar fand ich die TV-Interviews und auch das Truffaut-Interview nicht so prickelnd, aber dafür ist das einstündige Making-of erste Sahne. Die beiden Features über AH’s Montage- und Tontechnik befassen sich zwar nur allgemein mit seinen besten Filmen und speziell mit „Rear Window“, ich fand sie aber ebenfalls sehr aufschlussreich. Der Filmkommentar dürfte nicht auf der DVD enthalten sein und ist deshalb umso interessanter. 

Mima2016: 5 out of 5 stars (5 / 5)

Ein Gedanke zu „Den Mörder im Visier, das Bein im Gips: Jimmy Stewarts beste Rolle“

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