Dr. Ben MacKenna (James Stewart) fährt mit seiner Frau Jo (Doris Day) und ihrem Sohn Hank nach Marokko in den Urlaub. Doch schon bald wird das Familienidyll gestört: MacKenna wird Zeuge einer Messerstecherei, bei der der Franzose Louis Bernard tödlich verletzt wird. Bernards letzte Worte werden dem hilfsbereiten Amerikaner zum Verhängnis. Die Killer fackeln nicht lange: Um MacKennas Schweigen zu erzwingen, entführen sie seinen Sohn. Auf der Suche nach ihrem Kind gerät das Paar in ein Netz von Intrigen, bei dem sie niemanden trauen könne. Hinter dem Mord steckt ein internationales Komplott. Schließlich führt die Spur sie nach London in die Royal Albert Hall… (Verleihinfo)

Filminfos

  • O-Titel: The Man Who Knew Too Much (USA 1955)
  • Dt. Vertrieb: Universal
  • VÖ: 6.2.2014
  • EAN: 5050582969559
  • FSK: ab 12
  • Länge: ca. 120 Min.
  • Regisseur: Alfred Hitchcock
  • Drehbuch: John Michael Hayes
  • Musik/Dirigent: Bernard Herrmann
  • Darsteller: James Stewart (Ben), Doris Day (Jo), Daniel Gélin (Bertrand), Ralph Truman, der Attentäter (Reggie Nalder) u.a.

Handlung

Von Casablanca geht es mit dem Reisebus nach Marrakesch, also tief ins Landesinnere von Französisch-Marokko. „Sieht eigentlich aus wie letztes Jahr in Las Vegas“, findet Jo McKenna. Ihre amerikanische Familie ist unbesorgt. Was kann schon passieren? Höchstens dass mal Sohnemann Hank (Christopher Olsen) einer Muslima den Schleier vom Gesicht reißt und es einen mittelschweren Aufruhr gibt. Der Franzose Louis Bertrand, Angehöriger der Kolonialmacht, greift hilfreich ein, und die McKennas sind ihm sehr dankbar und wollen mit ihm zu Abend speisen. Doch als ein Mann in der Tür der Hotelsuite der McKennas auftaucht, dessen Kopf wie ein Totenschädel wirkt, sagt Bertrand urplötzlich ab. Wie schade.

Leider sehen sie den netten Monsieur Bertrand erst in seiner letzten Lebensminute wieder: Er haucht sein Leben in Ben McKennas Armen aus, mit einem Messer im Rücken. Und die braune Farbe in seinem Gesicht ist alles andere als echt. McKennas Frau, sie Sängerin Jo Conway, ist sehr besorgt. Was haben all die mysterösen Vorgänge zu bedeuten? Was der Sterbende zuletzt zu ben gesagt hat, will nun alle Welt wissen, vor allem die Polizei. 

Eine anonyme Drohung gegen Hank, falls Ben das Gehörte verrät, beruhigt die Nerven nicht gerade. Als die McKennas entdecken, dass das Ehepaar Drayton, das doch gestern so nett war, plötzlich abgereist ist, fragen sie sich nach dem Grund. Der stellt sich bald heraus: Die Draytons haben Hank, ihren Sohn, einfach gekidnappt! 

Der einzige konkrete Hinweis, den Bertrand geben konnte, führt nach London. Hier soll ein Staatsmann ermordet werden. Schon am Flughafen werden die McKennas vom Scotland Yard kontaktiert. Bertrand war dessen Mitarbeiter. Die von Betrand genannte Adresse eines „Ambrose Chappell“ existiert nicht, wohl aber die einer Ambrose-Kapelle. 

Dort machen die beiden Mckennas mehrere besorgniserregende Entdeckungen: Die Draytons sind hier, aber leider auch der Killer mit dem Totenschädelkopf. Als sie lauschen, stellt sich heraus, dass der Anschlag heute abend in der Royal Albert Hall stattfinden soll. Es ist keine Zeit zu verlieren. Aber die Draytons haben weiterhin ihren Sohn Hank…

Mein Eindruck

Hitchcock überarbeitete seine eigene Vorlage aus dem Jahr 1934 vollkommen und erzielte damit auch beim amerikanischen Publikum einen großen Erfolg. Der Song, den die Sängerin Doris Day im Film zum Besten gab, um mit ihrem „Sohn“ Kontakt aufzunehmen, wurde ein internationaler Schlager – ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er in meiner Kindheit tagtäglich im Radio gespielt wurde. 

Die Story selbst ging auf eine Bulldog-Drummond-groschenstory zurück, und den Titel hatte AH bei dem englischen Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton geklaut. AH gab seinem Drehbuchautor Hayes weder das eine noch das andere und ließ ihn auch nicht die Urfassung sehen, vielmehr erzählte er ihm eine Story. Daraus fertigte Hayes erst einmal ein Exposé, und auf dieser Basis wurde ein detailliertes Drehbuch erarbeitet – wie üblich mit AH’s Storyboards. 

In der englischen wie auch in der amerikanischen Fassung fällt der Musik als Verständigungsmittel und Element der Liebe eine zentrale Rolle zu: Jo singt unten im Salon und ihr Sohn Hank antwortet pfeifend von irgendwo aus einem der oberen Räume, wo er gefangen gehalten wird. Sie haben einen Code gefunden.

Aber es geht auch andersherum: Als die Musik während des Konzerts „Storm Cloud Cantata“ (1934) mit dem Zusammenschlagen der Becken das Stichwort für den Attentatsschuss geben sollen, stört ausgerechnet Jos Schrei diesen entscheidenden Moment – also das Gegenteil von Musik. Es ist der Schrei einer Mutter – und der Triumph über den Tod, den der Killer bringen will. 

Es fällt als seltsam auf, dass weder die Aufklärung von Bertrands Ermordung im Vordergrund steht noch die Sicherheit von Hank während seines Kidnappings. Vielmehr geht es um die Störung und den Erhalt der Familie McKenna. Schon bald muss der Arzt Ben McKenna einsehen, dass sein angelerntes Wissen nicht ausreicht, um die Gesundheit, geistig wie körperlich, seiner Familie zu gewährleisten. „You’re the doctor, you have all the answers“, sagt Jo. Das Gegenteil trifft zu: Er begeht einen Fehler nach dem anderen („Ambrose Chapell“ statt „Ambrose Chapel“), versagt, wenn es drauf ankommt (in der Kapelle selbst), und erst seiner Frau gelingt der Durchbruch. Hank wiederzubekommen, ist für sie wie eine zweite Geburt. 

Aufgrund seines Studiums ist Ben in der Tat ein „Mann, der zuviel wusste“ – man beachte die Vergangenheitsform. Er ist ein Mann der Wissenschaft, der sich daher für überlegen fühlt und dies vielfach auch zeigt: als Vater, als Gatte und als Arzt. Doch ein kleines Geheimnis – ein für AH typischer „unglücklicher Zufall“ – kann eine große Wirkung haben. Seine Größe ist auch Bens Schwäche: Im arabischen Restaurant kann er nicht richtig sitzen, und auf dem Markt von Marrakesch ist er für den sterbenden Bertrand sofort sichtbar. Erst als Jo durch ihre Rückkehr zum Singen Kontakt mit ihrem Sohn aufnehmen kann, erkennt Ben, dass er auf sie angewiesen ist. Der Titel des Films ist in diesem Licht höchst ironisch gemeint. 

Die Szene, in der Ben seiner Frau mitteilen muss, dass ihr Sohn entführt wurde, ist wunderbar inszeniert und von großer Emotionalität, obwohl sehr wenig passiert. Das liegt daran, dass Ben, der vorausschauende Arzt, ihr ein Sedativum verabreicht hat. Die Wirkung, die seine Mitteilung auf sie hat, wird so zwar gedämpft, aber auf eine Weise, dass sie wie eine Person im Todeskampf wirkt, nahezu erstarrt. Diese Erstarrung löst sie erst mit ihrem gewaltigen Schrei in der Konzerthalle. Doris Day, der AH erst skeptisch gegenüberstand, war von ihrer Darstellung beeindruckt, wie wir aus dem Making-of erfahren. 

Days Lied „Que sera, sera“, das scheinbar fatalistische Schicksalsergebenheit signalisiert, sagt eher das Gegenteil aus: „The future’s not ours to see“. Doch im Konzert ist diese Zukunft nur für uns und den Killer festgelegt. Die McKennas wissen nicht, dass der Höhepunkt der Storm Cloud Cantata in einem Schlag der Becken besteht. Aus dieser Diskrepanz entsteht Suspense. Wir sind gespannt, ob die McKennas es schaffen, dem unausweichlichen Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. 

Die meisten Kritiken missachten die entscheidende Rolle, die Mrs. Drayton spielt. Hanks Entführererin ist eine verhinderte Mutter, die hinfort immer darauf achtet, dass es ihm an nichts fehlt – außer an der Freiheit. Am Schluss ist sie es, die ihm zu pfeifen befiehlt, um seine Mutter zu benachrichtigen, wo er ist. Und sie ist die einzige Figur, die schließlich allein dasteht: ohne Mann, ohne Kind. 

Im Making-of wird die große Finalszene in der Royal Albert Hall genau analysiert. Obwohl sie rund zwölf Minuten und 124 Einzeleinstellungen lang ist, wird doch kein einziges Wort gesprochen! Wir sehen zwar, wie sich Ben mit verschiedenen personen unterhält, nicht zuletzt mit Jo, aber das ist nicht wichtig. Wie später in zwei Szenen in „Topas“ kommt es nicht darauf, was gesagt wird, sondern was daraus folgt. 

In dieser Finalszene wird AH wieder zum Verfechter des „pure cinema“: Die Bilder sprechen für sich selbst: Aus dem wohlgeordneten Miteinander von Orchester, Chor und Publikum erwächst durch Verrat und Hinterlist das Attentat und der Tod des Attentäters. Aufruhr, Chaos, Erlösung sind die Folge. Eine Vorwarnung wurde uns bereits im Laden des Taxidermisten Ambrose Chapell zuteil: Ben betritt den Laden, in dem alles wohlgeordnet zu sein scheint. Doch er erzeugt Aufruhr, gerät ins Maul eines Löwen, wird um ein Haar enthauptet – und muss die Stätte seiner Niederlage fluchtartig verlassen. 

Die moralische Spannung sorgt für besonderen Suspense in dieser Finalszene. Jo muss sich händeringend entscheiden, welchem moralischen Imperativ sie nachgeben soll. Wenn sie den Premierminister, das Ziel des Attentäters, warnt, verrät sie die Abmachung mit den Entführern ihres Kindes und gefährdet so Hanks Leben. Zwölf lange Minuten lang hängt ihr Schicksal und das aller Beteiligten in der Schwebe – bis zu ihrem gewaltigen Schrei, der den scheinbar unabwendbaren Lauf des Schicksals ändert und ihr ein zweites Leben schenkt. 

In der Szene, die gleich im Anschluss folgt, muss Jo versuchen, Hank zu orten und ben versuchen, ihn zu befreien. In beiderlei Hinsicht spielt Mrs Drayton eine entscheidende Rolle. Sie nimmt die Position ein, die zuvor Jo innehatte. Schließlich ist die Familie McKenna wieder vereinigt: „We’ll love again“. Die externe Reise einer gelangweilten Arztfamilie ist zu einer inneren Reise geworden, die zu neuer Vitalität dieser Ehe und ihres Kindes führt. 

Die Blu-ray

Technische Infos

  • Tonformat: DTS HD Master Audio 2.0 in Englisch, DTS Digital 2.0 (Mono) in Deutsch, DTS Digital 2.0 (Mono) in Spanisch, DTS Digital 2.0 (Mono) in Italienisch, DTS Digital 2.0 (Mono) in Japanisch, DTS Digital 2.0 (Mono) in Französisch
  • Untertitel: Deutsch, Englisch, Spanisch, Koreanisch, Italienisch, Japanisch, Cantonesisch, Französisch, Dänisch, Norwegisch, Schwedisch, Mandarin, Finnisch, Isländisch, Niederländisch
  • Bildformat: 1,85:1 (Widescreen)
  • Extras: siehe Bonusmaterial

Mein Eindruck: die Blu-ray

Das Bild ist brillant und gestochen scharf. Das führt leider auch dazu, dass dem heutigen Zuschauer jedes Mal auffält, wenn die Figuren im Vordergrund vor einer eingeblendeten Montage des Hintergrunds stehen. So wird sinnfällig, dass viele Außenaufnahmen im Grunde im Studio entstanden. Das Verfahren wird im Making-of erläutert. 

Der Sound liegt immer noch nur im Mono-Ton vor, wenn auch in DTS High-Density. Deshalb wirken die Dialoge seltsam flach, egal ob im englischen Original oder in der deutschen Synchronisation. Die Musik wirkt hingegen frisch wie immer. 

EXTRAS

  1. Das Making of „The Man Who Knew Too Much“ (ca. 34:20 min): Von der Idee zur Story über den ersten (britischen) Film mit diesem Titel (1934) bis zum US-Remake (1955) wird der Werdegang des Filmprojekts erläutert. Die Doku stellt Crew und Schauspielerriege vor, berichtet von den Dreharbeiten in Marokko, bewertet die eminent wichtige Rolle der Musik und der Ausstattung, v.a. den Schausplatz der Royal Albert Hall in London. Eine Bemerkung ist sicherlich Doris Days Lied „Que sera sera“ wert, der sich zu einem internationalen Schlager entwickelte. 

    In diesem Making-of sind zu sehen: Patricia Hitchcock, AH’s Tochter; Albert Coleman, der Regieassisten – er musste während des Ramadan drehen; John Michael Hayes, der Drehbuchautor; Henry Bumstead, Bühnenbildner und Ausstatter. Dass Bernard Hermann selbst den Dirigenten spielt, ist eher ein Insider-Witz: Er war ja der Komponist der restlichen Musik, die schon auf „Vertigo“ und „Psycho“ vorausweist.
  2. Fünf Wiederaufführungs-Trailer (6:13 min): Jimmy Stewart stellt fünf bislang „ungesehene“ Filme von AH vor: „Vertigo“; „Der Mann, der zuviel wusste“; „Cocktail für eine Leiche“; „Immer Ärger mit Harry“; und „Das Fenster zum Hof“. 
  3. Produktionsfotos (4:13 min): Diese selbstablaufende Diaschau zeigt Filmplakate, Aushangfotos von sowohl der 34er- als auch der 56er-Fassung, Aufnahmen von den Schauspielern, den Dreharbeiten sowie die üblichen Starporträts. Am interessantesten aus historischer Sicht sind sicherlich die Aufnahmen von den Sets und den Schauspielern beim Dreh. Deutlich kommt die Sympathie zwischen Stewart und Hitchcock, seinem persönlichen Freund, als auch mit Doris Day zum Ausdruck. 
  4. Original-Kinotrailer (2:09 min): Jimmy Stewart fungiert hier als Kommentator, der den Film präsentiert. Doris Day singt natürlich. 

Unterm Strich

Obwohl „Der Mann, der zuviel wusste“ nur wenig Spannung aufweist, die sich in Action ausdrückt, ist er doch einer der beliebtesten Hitchcock-Filme, sicherlich einer der gefühlvollsten und anrührendsten. Während die erste Umsetzung im Jahr 1934 „amateurish“ war, wie Hitchcock sagte, war die Umsetzung von 1955 das Werk eines „professionals“. Alle Handlungsdetails, alle Einstellungen, Figuren, Kunstelemente – beosnders die Musik – alles ist durchdacht miteinander in Beziehung gesetzt, so dass die beabsichtigte Wirkung entsteht. 

Der Effekt ist jedoch nicht die eines Uhrwerks, denn der Treibstoff der Handlung ist Emotion in vielfacher Gestalt. Aus Langeweile wird nach Bertrands Tod Angespanntheit und nach Hanks Entführung pure Agonie. Im Mittelteil agiert Jo wie unter dem Sedativum, das ihr Ben verabreicht hat. Die Anspannung wird erst dann gelöst, als der Anschlag und Jos Urschrei ineinander fallen – eine zweite Geburt Jos. 

Diesem Ereignis hat durch Jos Mittel des Gesangs, eine Rückbesinnung auf ihr wahres Ich, noch die Wiedervereinigung der Familie zu folgen: Jos Wiedergeburt als Mutter und Gattin. Die Abfolge dieser entscheidenden Wendungen sollte von jedem Zuschauer höchstes Interesse verdienen. Die Wandlung Bens, dem Mann, der zuviel weiß, durchläuft ebenfalls mehrere Stationen, bis er zur Einsicht gelangt, dass seine unbewusste Überheblichkeit ein Hindernis und keineswegs eine Hilfe war. 

Für das Auge ist der Film ebenso ein Fest wie für die Ohren. Das Konzert ist der Höhepunkt, der zwölf Minuten allen Dialog verdrängt: „pure cinema“. Die Bilder sprechen für sich. Ebenso der Gesang von Doris Day: Er ist kein Selbstzweck, sondern erfüllt eine Funktion: Sie nimmt wieder Kontakt mit dem verlorenen Sohn auf, und wir sind gespannt, wann die beiden wieder zueinanderfinden. Nach dem glücklichen Ende kommt wie bei Hitchcock wieder ein Understatement mit einem flapsigen Spruch: „Sorry, wir wurden aufgehalten und mussten Hank abholen.“ 

Die Blu-ray

Die Blu-ray weist die gleichen Extras wie die DVD auf. Der Zusatzwert liegt also in dem stark verbesserten Bild, das wirklich brillant ist. Der Tonstandard ist zwar immer noch Mono, liegt nun aber wenigstens in DTS-HD vor. Davon profitiert vor allem die Musik. Der Vorteil der Blu-ray, viel mehr Speicherplatz zu bieten, erlaubte es Universal, sehr viel mehr Sprachen und Untertitel auf die Tonspur zu packen, als es die DVD ermöglichte. Mit einem aktuellen Preis von rund 13 Euro ist die Silberscheibe durchaus erschwinglich. 

Mima2016: 4 out of 5 stars (4 / 5)

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