Frustriert hat sich Barpianist Paolo (Castellito) von Ehe und Job verabschiedet. Als die atemberaubende Francesca (Dellera) seinen Weg kreuzt, wird er jedoch aus seiner Lethargie gerissen: Sie ist die zu Fleisch gewordene Verkörperung all seiner erotischen Fantasien. Zusammen beziehen sie ein einsames kleines Haus am Strand. Hier wird er jedoch von ihr ans Bett gefesselt und mit einer Dauererektion versehen, so dass sie sich jederzeit bedienen kann. Die Leidenschaft bringt ihn um den Verstand und treibt ihn langsam aber sicher in die Katastrophe… (Verleihinfo)

Filminfos

  • O-Titel: La Carne (I 1991)
  • Dt. Vertrieb: E-M-S
  • FSK: ab 16
  • Länge: ca. 87 Minuten
  • Regisseur: Marco Ferreri
  • Drehbuch: Liliane Betti, Massimo Bucchi, Paolo Costella
  • Musik: diverse (Paolo Conte, Kate Bush etc.)
  • Darsteller: Sergio Castellitto, Francesca Dellera, Clelia Piscitelli, Elena Wiedermann, Farid Chopel, Gudrun Gundelach, Nicoletta Boris, Petra Reinhardt, Philippe Léotard, Sonia Topazio  u.a.

Handlung

Paolo ist mit seinen beiden Kindern ins naturhistorische Museum gegangen. Nun stehen sie vor den animatronischen Dinosauriern und lauschen urtümlichen, bestialischen Lauten, während sich die Viecher auf unheimlich lebendige Weise bewegen. Irgendwie muss dies Paolos halbwüchsige Tochter auf seltsame Gedanken gebracht haben, denn sie spricht von „Wallungen“. Der erstaunte Papi fragt sie, ob sie Sex habe. Sie weist das entrüstet zurück. Er sollte sich das mal selber fragen, denn seit er von ihrer Mami getrennt lebt – er nennt sie „die Hyäne“ – kommt er offenbar wenig zum Schuss. Er hält sich für herzkrank. Das alles soll sich jedoch ändern.

Im Musikclub, den er mit seinem Kumpel Nicola (Leotard) besucht und wo er als Barpianist auftritt, lernt er die atemberaubende Francesca kennen: ein Busen wie eine Königin, eine Mähne wie eine Löwin. Wie sie ihm nicht zögert mitzuteilen, hat sie vor zwei Wochen eine Abtreibung vornehmen lassen ist deshalb traurig. Aber sie liebe Indien, er nicht auch? Und das Kind war von ihrem Guru Sainanda, mit dem sie Tantra geübt hat, also die indische Liebeskunst. Sie legt Paolos Hand auf ihre Götterbrust und meint, das sei so ‚ne spirituelle Sache mit dem Tantrasex. 

Paolo ist hingerissen und fährt mit ihr statt zu sich nach Hause ans Meer, wo sie gemeinsam den Sonnenaufgang erleben. Er hat eine Epiphanie: Sie, Francesca, sei Gott! Sie winkt ab und meint, sie sei hungrig. Am Würstchenstand meint ein alter Knacker, die Frau sei der Teufel. Der Verkäufer mit dem Down-Syndrom meint: Ja, aber sie ist schön. Ganz unbestreitbar.

Sie verfügen sich in sein Landhaus am Meeresstrand. Francesca erwartet, dass er über sie herfällt, doch der Hypochonder reagiert auf ihren Lockruf nicht wie gewünscht. Erst nach eine Weile kommt es zu einer lustvollen Vereinigung, doch sie sitzt dabei oben. Als sie ihm am nächsten Morgen (halb im Scherz) sagt, er sehe bescheuert aus, schneidet er sich die Pulsadern auf und legt sich ans Meer. Sie kann ihn gerade noch retten. Herrje, was für ein kaputter Typ! „Du Egoist!“, raunzt sie. Er entgegnet, er habe Gott gesehen und glaube nicht an die Wiederholung von etwas so Schönem. Er will daher ehrenvoll sterben wie ein Römer. Nachdem sie sein Blut getrunken hat, nimmt er sie wieder. Sie sieht aus wie ein Vampir. Wenig später nennt sie ihn einen Vampir.

Am nächsten Tag wird sie durch Einschüsse von Artillerie am Strand erregt, doch genau das törnt ihn total ab. Da fällt ihr ein, was ihr Guru Sainanda beigebracht hat. Mit Akupressur schafft sie es, dass Paolo zwar gelähmt wird, aber von nun an eine Dauererektion hat. An dieser kann sie sich jederzeit bedienen. Während er gelähmt im Bett liegt, trifft sie am Strand eine Frau namens Fiata, die zwei Säuglinge simultan stillt. Das findet Francesca toll und netterweise darf sie auch eines der zwei Babys stillen: „tolles Gefühl“. Ihr Busen ist offenbar deshalb so prall vor Muttermilch, weil sie vor zwei Wochen die Abtreibung hatte. (Realitätscheck: funktioniert nicht!)

Paolo liegt mit seinem Superständer im Bett, als sein Kinder und deren Mutter auftauchen. Danach statten ihm auch noch zwei Polizisten, seine Freunde und eine lesbische Bekannte einen Besuch ab. Anscheinend ist sein Häuschen ein beliebtes Ausflugsziel. Nur ist der Gastgeber leicht gehandicapped. 

Drei Monate vergehen. Schließlich hat sie die Nase von ihm voll, denn sie ist wieder schwanger, und das war es offenbar, was sie wollte. Das passt ihm überhaupt nicht. Er erinnert sich daran, wie er als Junge mit seiner Mutter zur heiligen Messe ging und dort die Eucharistie empfing. Als Francesca gehen will, beißt er sie ins Ohr und sie fragt ihn wütend: „Willst du mich fressen?“ Ist sie Hellseherin?

Mein Eindruck

Der Regisseur von „Das große Fressen“ (mit Michel Piccoli und Andrea Ferreol) ist ein Spaßvogel, der aber auch den Narr mit einem Stachel spielt. „Das große Fressen“ trieb die Genußsucht einer Generation satirisch auf die Spitze, was natürlich in dem Untergang dieser Gesellschaft endete. In „La carne“ macht er wieder das Fleisch und die superfeminine Überfrau zu seinem Sujet. Diesmal verquickt er dies aber mit der Religion. Damit greift er die Kirche ebenso an wie die Gläubigen. Das konnte er 1991 wahrscheinlich mit mehr Aufsehen und Skandal tun als heute, wo in Italien kaum noch ein Hahn nach Religiosität kräht. Wenn man dem Papst zujubelt, dann doch nur einem spirituellen Popstar, ähnlich wie dem Dalai Lama.

In einer satirischen Erotikfarce wie „La carne“ dürfen jede Menge Symbole und unwahrscheinliche Situationen auftreten, das ist wie im Theater, das seine Wurzeln im Zirkus einerseits und im Gottesdienst andererseits nicht verleugnen kann. Hier tauchen unvermittelt Störche auf, ein Symbol für Kindersegen, wie jeder weiß. Francesca ist schwanger, doch Paolo hat so ein Problem mit Kindern – sie sind eine finanzielle Belastung – und mit Müttern sowieso, denn die wollen bloß Alimente. Er behauptet, er habe nie Störche gesehen.

Außerdem stellt Francesca noch etwas anderes für ihn dar. Wenn sie eine Verkörperung Gottes ist, dann ist eine Vereinigung mit ihr ein Gottesdienst. Dumm nur, dass er deswegen häufig impotent ist. Erst als sie ihm zwangsweise einen Dauerständer verpasst, kann er ihn treu dienen – kein allzu unangenehmer Zustand. Doch Monate hält er dies nicht durch und er winselt um Erlösung. Als ihm diese gewährt wird, setzt er seinen Gottes-Dienst fort, indem er eine mönchische Kutte trägt und ihre Brust leckt. Denn er will an ihr stets teilhaben. Sie ist die Muttergottes für ihn, Maria, aber auch Magdalena.

Die Sache mit einer lesbischen Dreiecksgeschichte lässt sich zwar gut an, doch Giovanna ist in Francesca verliebt, nicht in Paolo. Auch sie will an Francescas Brust trinken, um an ihr teilzuhaben. Paolo ist froh, als sie verschwindet. Doch die Trennung von Francesca kann er nicht zulassen. Wenn sie sein Gott ist, will er sie sich einverleiben. Das hat er ja auch so in der katholischen Eucharistie gelernt. (Dabei nehmen die Gläubigen symbolisch den Leib und das Blut Christi in sich auf. Der Leib Christi wird als Oblate verteilt. Statt Blut wird natürlich Wein gereicht, doch den trinkt stellvertretend nur der Priester.) Die vergöttlichte Geliebte spendet ihm fortan Nahrung. Seltsamerweise landen immer mehr Störche in Paolos Garten und bevölkern bald das Haus. Dabei bekommt er doch gar kein Kind. Oder?

Ferreri arbeitet mit satirischen Mitteln die Unterschiede zwischen Mann und Frau heraus, wenn es um die Beziehung zur Religion und zum Fleisch geht. Für Frauen ist die sexuelle Vereinigung der Weg, um ein Kind zu bekommen und darin Maria Muttergottes ähnlich zu werden. In diesem Prozess hat ein Mann nur als Samen- und Geldspender einen Platz. Es sei denn, es gelingt ihm, die vergöttlichte Geliebte an sich zu binden. Als Paolo dies nicht schafft, geht er einen Schritt weiter, zur Einverleibung, also zu weit für die Tabus der Gesellschafft. Die symbolische Einverleibung Christi ist zwar in Ordnung und ein Sakrament der staatstragenden katholischen Kirche, aber die buchstäbliche keineswegs.

Die Frage ist interessant, ob es eine vorgeprägte Rolle gibt, die Paolo ausfüllt. Er hat Gott nicht verraten, ist also weder Luzifer noch Judas noch Petrus (der Verleugner). Sein Gottes-Dienst ist buchstäblich, doch indem er die göttliche Francesca tötet und sich einverleibt, verleugnet er die traditionelle Position des Gläubigen: er unten, Gott oben und unerreichbar. Dadurch stellt er, der ewige Loser und Hypochonder, sich auf eine Stufe mit Gott. Im letzten Bild sieht man ihn aber Gott, verkörpert in der untergehenden Sonne, huldigen. Paolo begeht also nicht Apostasie, den Abfall vom Glauben, oder Ketzerei. Er treibt es einfach zu weit mit seiner Gottesverehrung. 

Für sein Tun gäbe es aber eine Menge kultureller Vorbilder in bekannten Gesellschaften wie etwa den Maya und Azteken, von vorantikischen Gesellschaften ganz zu schweigen, also jenen Kulturen, in denen Menschenopfer dargebracht wurden. Agamemnon sollte bekanntlich seine Tochter Iphigenie den Göttern opfern, um diese seinem Vorhaben, Troja anzugreifen, günstig zu stimmen. Und Abraham sollte seinen ältesten Sohn Isaak opfern: „God said to Abraham: Kill me a son! Abe said, Man, you must be puttin’ me on!“, sang Bob Dylan einst.

Bedeutet dies also, dass Regisseur Ferreri in Paolo und Francesca einen Rückfall auf eine frühere (nicht primitivere) Kulturstufe inszeniert hat? Immerhin treiben es die beiden wie Hund und Hündin in einer Hundehütte – noch so ein satirischer Einfall. Vielleicht geht es Ferreri nur darum zu zeigen, dass man auf einer Kulturstufe, die nichts mit katholischer Kirche am Hut, aber viel mit Lusterfüllung zu tun hat, zufriedener und erfüllter sein könnte. Zumindest als Mann, denn Francesca hat offenbar bereits ihre sexuelle Erfüllung bekommen, als sie Paolos Dauerständer reiten konnte und vom ihm geschwängert wurde. Vielleicht ist das aber auch nur eine Art von Vampirismus – siehen oben.

Signora Dellera

Wer all diesen religiösen Überbau nicht sehen will, ist wahrscheinlich nur darauf aus, den prächtigen (sichtbar künstlich vergrößerten) Busen von Francesca Dellera zu bewundern oder die eine oder andere Sexszene zu genießen. Von beidem gibt es leider herzlich wenig. Am besten lässt sich Signora Delleras Auftritt als Dessous-Modenschau charakterisieren, denn in Spitzenbüstenhalter und Gazenachthemd sieht sie wirklich am erotischsten aus.

Die Musik ist ein wichtiger Beitrag zur emotionalen Wirkung des Films, aber man sollte auch ein wenig auf den Text achten. Da ist zunächst ein flottes spanisches Gitarrenstück, in dem der Sänger ständig singt: „Ay, wie sehr ich dich liebe, schöne Zigeunerin!“ Das passt gut auf Francesca und ihre wilde Löwenmähne.

Desweiteren hören wir wieder und wieder das glotte Flamenco-Intro zu „Innuendo“ von Queen. Es scheint für Ferreri die Inkarnation von Lust und Leidenschaft zu sein, denn er bringt immer an den entsprechenden Stellen in der Handlung. Schließlich tragen noch Paolo Conte sowie die junge Kate Bush mit „This woman’s work“ ihre Anteil zum Soundtrack bei. Von Bob Dylan fehlt allerdings leider jede Spur.

Die DVD

Technische Infos

  • Bildformate: 1,33:1 (Vollbild)
  • Tonformate: D in DD 2.0, Italienisch in DD 2.0
  • Sprachen: D, Italienisch
  • Untertitel: D
  • Extras:
    • Originaltrailer
    • Bei den Dreharbeiten
    • Filmografien von Castellito, Dellera und Ferreri

Mein Eindruck: die DVD

Sound und Bild sind nicht gerade auf dem neuesten Stand der Technik und irgendwie sehen die Bilder ein wenig verwaschen aus. Aber wenigsten tritt nicht der berüchtigte Überblendeffekt bei weißen Flächen auf, der sich auf etwas abgenutztem Technicolor einstellen kann. Auch die Rosafärbung, die oft anzutreffen ist, konnte ich nicht feststellen. Daher ist „La carne“ recht annehmbar anzusehen. Dass das Vollbildformat der Qualität abträglich ist, würde ich nicht sagen, denn schließlich hat auch Stanley Kubrick in diesem Format großartige Filme wie „Full Metal Jacket“ gedreht.

An Bonusmaterial bietet die Silberscheibe den Originaltrailer sowie biografische Filmografien zu Castellito, Dellera und Ferreri. Der Regisseur drehte zwischen 1959 und 1997 nicht weniger als 33 Filme und Castellito zwischen 1984 und 2006 immerhin dreißig Streifen. Am bekanntesten ist er bei uns für seinen Auftritt in „Bella Martha“ neben Martina Gedeck. Dellera hat zehn Streifen auf dem Konto, alle zwischen 1986 und 2006 gedreht.

Als weiteres Extra begleitet eine Filmcrew den Meister, der schon rund 70 Jahre alt ist, beim Drehen von zwei oder drei Szenen: im Klub, im Supermarkt, am Strand von Anzio. Ferreri lässt zwei kurze Statements vom Stapel: über das unsägliche italienische Fernsehen und über seine Art, anarchistisches Kino zu machen und die Anarchie in den Film zu bringen. 

Unterm Strich

Die meisten serösen Filmlexika raten von diesem Film ab, aber ich fand ihn ein interessantes Kuriosum. Wenn man mal ein wenig näher darüber nachdenkt, was alles darinsteckt, so öffnet sich dem Betrachter ein Aspekt nach dem anderen. Natürlich sollte man sich nicht von den oberflächlichen Schaueffekten wie der prachtvollen Francesca Dellera blenden lassen. Auch die Dauererektion Paolos dürfte wohl nur am Anfang ziemlich witzig erscheinen. Doch spätestens, wenn Paolos Messer in Francescas Bauch steckt, friert das dümmliche Grinsen des Zuschauers ein und er muss einen Blick auf das seltsame Geschehen  unter der Oberfläche werfen. Was es damit auf sich hat, habe ich weiter oben bereits anzudeuten versucht.

Das Bonusmaterial trägt absolut nichts zur Erhellung des ideelen Gehalts des Films bei. Jeder muss sich selbst seinen eigenen Reim darauf machen. Deshalb vergebe ich auch nur drei Punkte für eine nachdenklich machende Erotikfarce mit Tiefgang.

Lass ein paar Worte da:

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.