[Einleitung]

Das Musicals nebst ihrer Bühnenherkunft auch den Weg auf die Leinwand finden, ist nicht erst seit dem jüngst so erfolgreichen „Mamma Mia“ Gang und Gebe. Eines der bekanntesten, wenn nicht gar kultigsten Stücke, ist die „Rocky Horror Picture Show“, die wie auch das ABBA-Musical schon lange Zeit vor Drehbeginn mit großem Anklang in den USA aufgeführt wurde. Dabei unter dem leicht abweichenden Namen „The Rocky Horror Show“. Richard O´Brien fungierte als ausführender als Kopf des Ganzen und bekam später verdientermaßen auch in der filmischen Adaption eine Rolle zugesprochen, die des Butlers von Doktor Furter, namens Riff Raff. Lief der Streifen zu Anfang noch recht schleppend, so stellte sich spätestens durch den unerschöpflichen Eifer der zahlreichen Anhänger von Sharmans Regiestück der erwünschte Erfolg ein und die Show avancierte zu einem der bekanntesten und kultigsten Filme unserer Zeit.

Eine Besonderheit besteht auch heute noch darin, dass diverse Szenen durch das leidenschaftliche Mitwirken der Zuschauer unterstützt werden. Da wird Mehl durch die Luft gewirbelt, mit Konfetti um sich geworfen oder aber gezielt getimte Worte ausgerufen – die dadurch erzeugte Stimmung im Saal kann wohl nur jemand in Worte fassen, der bei diesem faszinierendem Schauspiel Zeuge, wenn nicht sogar Aktivist war. Denn wenngleich „The Rocky Horror Picture Show“ schon mehr als 30 Jahre auf dem Buckel hat, so wird sie auch heute noch viel und gerne in den verschiedensten Kinos gespielt – natürlich das wichtige Engagement der Zuschauer mit inbegriffen. Ohne das, wäre es wohl nur die halbe Miete und der heimische DVD-Genuss mutet dabei schon fast langweilig an. Aber diesen natürlich bitte auch nur im englischen Originalton, die deutsche Synchronisation ist grausam und entstellt die genial-verrückten Dialoge aufs bitterlichste. Doch was ist dran, an diesem Mythos, der die Filmliebhaber stets aufs Neue entzweit. Die einen lieben die Show, die anderen hassen sie aufs Messer – wie also kommt dieser Gegensatz zustande. Nun, allein bereits der Verlauf der Geschichte liest sich wie aus der Fantasie eines psychisch labilen Menschen entsprungen.

[Inhalt]

Die frisch verlobten Janet Weiss (Susan Sarandon) und Brad Majors (Barry Bostwick) sind unterwegs zu ihrem alten Freund Dr. Everett Scott, einem ehemaligen Lehrer, in dessen Unterrichtsstunden sich die beiden damals kennen lernten, Als ihr Auto aber aufgrund eines geplatzten Reifens liegen bleibt, machen sich die beiden inmitten einer stürmisch-regnerischen Nacht auf zu einem alten Schloss, um dort zu telefonieren. Als ihnen der gespenstisch erscheinende Riff Raff (Richard O´Brien) die Tür öffnet, vermuten die beiden schon, dass es sich bei den Bewohners dieses Anwesend nicht um den gängigen Adel handeln wird. Als sich kurz darauf der strapsetragende Hausherr Dr. Frank-N-Furter (Tim Curry) seine Ehre erweist und die beiden dazu einlädt, der Geburt des von ihm erschaffenden Wesens Rocky (Peter Hinwood) beizuwohnen, bestätigen sich die Befürchtungen, dass diese Nacht wohl noch so einige Überraschungen bereithalten wird und sie diese so schnell nicht wieder vergessen werden. Vorausgesetzt natürlich, die transsylvanische Gesellschaft und Furters makaberes Gefolge lassen das Pärchen überhaupt wieder hinaus, aus diesem Gemäuer des Grauens…

[Kritik]

Geschockt? Verwirrt? Macht sich Unverständnis breit? Nun, dann geht es ihnen wohl genauso, wie zig anderen, die sich mit dem Inhalt des Filmes vertraut machten. Nicht selten lesen sich solcherlei Storyausschnitte verrückter, als sie sich im Nachhinein herausstellen – nicht jedoch so bei Jim Sharmans Film. Dieser hält was er verspricht und setzt überall gar noch einen drauf. Schon die Gesangseinlage zu Anfang, „Dammit Janet“, lässt erahnen, was einen die nächsten 90 Minuten erwarten wird, nämlich zuweilen zwar recht vulgäre und freizügige, aber dessen ungeachtet enorm spaßige Songeinlagen, die von Frauenkleidern tragenden und überschminkten Protagonisten vorgetragen werden. Ein bizarres Vergnügen, welches homoerotische Fantasien mit erstklassigen Rocknummern, inszeniert in schriller Art, verquickt und dem Betrachter damit ein absolut verrücktes und abgespactes Gesamtpaket beschert. Ein Grusical wenn man so will, das durch seinen unvergleichlichen Stil zugleich schockt, wie auch bestens unterhält.

Tim Curry spielt sich dabei klar in den Vordergrund, was aber hinsichtlich seiner absolut kranken Rolle des Frank-N-Furter nicht weiter verwundernswert erscheint. Diese Gestalt vom weit entfernten Planeten „Transsexual“, ergo, ist der Doktor ein Außerirdischer, vereinigt so ziemlich alles Chaos das Man(n) sich vorstellen kann. Er ist nymphomanisch, hyperaktiv, bisexuell, tuntig, unberechenbar und eben einfach nur verrückt. Eine postmoderne Version Frankensteins, die den Typus des übergeschnappten Wissenschaftlers in ganz neue Dimensionen rückt. Ohne Rücksicht auf seine Person macht sich Curry sprichwörtlich „zum Affen“. Das aber derart genial und auch irgendwie sympathisch, dass er zum absoluten Mittelpunkt arriviert. Auch gesanglich, ist das ganz große Klasse, was er vorträgt. Da verkommt Susan Sarandon obgleich ihrem knuffigen Äußeren stimmtechnisch zu einer fahlen Statistin. Deren piepsige Versuche erklingen vergleichsweise beinahe schon gehörschädigend. Löblicher Weise besteht der Großteil der restlichen Ansammlung von Darstellern aus Vertretern des Originalmusicals, was also über den einen oder anderen schiefen Ton der rein filmbezogenen Schauspieler hinwegsehen lässt.

Eines der Highlights, ist jedoch ohne Frage des Sängers „Meat Loafs“ motorisierter Auftritt, welcher auch auf dessen früheren Konzerten zu einem unverkennbaren Markenzeichen wurde. Seine Rolle des Eddies ist zwar viel zu kurz ausgefallen, doch was dieser Mann in seinen ihm wenigen zu Verfügung stehenden Minuten für eine Show abliefert, gleicht dem puren Wahnsinn. „Hot Patootie“, so der Name seines Songs verleiht dem Film einen unvergleichlichen Stimmungshöhenflug, der nach dessen Abklingen aber leider wieder unsanft auf den Boden der gesanglichen Routine angelangt. Nur der „Time Warp“ kann da noch mitziehen und bietet stimmungstechnisch einen weiteren, lang andauernden Höhepunkt, der, bescheiden ausgedrückt, einfach nur Spaß macht und eine superbe Abwechslung zu Currys zwar gelungenen, aber dennoch nach einer Weile ein wenig variantenarmen Einlagen bietet.

Die anderen Songs hingegen, die auf den weiteren Akteuren aufbauen und von diesen vorgetragen werden, sind zwar nichtsdestotrotz auf durchgängigen hohem Niveau, doch die beiden genannten Titel stellen eben aufgrund ihres Bombastes alles weitere in den Schatten. Was die Kulissen anbelangt, so fällt bei diesen das gewollte Bühnenaussehen sofort ins Auge und verbindet sich mitsamt dem restlichen, trashigen Stilmitteln zu einer wahren symbiotischen Liebeserklärung an die Trashkultur und des ungehemmt-freizügigen Kinos. Es lässt sich sogar eine tiefere Botschaft aus dem ganzen bunten Treiben herauslesen, was man vorerst erst gar nicht für möglich halten wollte. Der Wunsch seine Bedürfnisse auszuleben, sich unbegrenzt seinem Begehren hinzugeben und einfach nur Spaß zu haben sind zwar Vorstellungen eines Lebens, das in unserer heutigen, wie auch damaligen Gesellschaft im Film, dieser spielt ja in den 50er Jahren, als unausführbar erscheinen, aber bei tiefgehender Betrachtung durchaus auf nicht gerade wenige Individuen anzuwenden sind. Also bietet Sharman neben seiner klar erkennbaren Hommage an das Horror- und Science-Fiction-Kino der 50er auch wenig Gesellschaftskritik. Sicher, deshalb ist die „Rocky Horror Picture Show“ mitnichten geistig anspruchsvolle Unterhaltung, doch es ist immer gut, wenn sich, auch falls man sie zuerst ein wenig suchen muss, neben dem trivialem Charakter zumindest Spuren einer gewissen Tiefgründigkeit finden lassen.

Auch wie die Macher so einige der damaligen sexuellen Gepflogenheiten, wie etwa die Unschuld vor der Ehe, gehörig aus Korn nehmen spricht für sich und erreicht neben dem reinen Unterhaltungswert eben auch noch jene obig genannte Hintergründigkeit. Wenn man so will, ist der Film tatsächlich eine einzige Ansammlung gesellschaftlicher Kontroversen, die dem ursprünglichen Ziel des vielmals zitierten Rockn Rolls, der Revolution gegen veraltetet und scheinheilig wirkende Normen und Konventionen, Tribut leisten und auf diese Weise auch den an jene Musikrichtung angelehnten Gesang- und Tanzparts eine filmische Daseinsberechtigung verleihen. Vielleicht kann man auch vieles nur interpretieren, doch dass dieses Musical weit mehr ist, als eine Zuschaustellung abnormer Besonderheiten, dürfte letztlich jedem, spätestens nach mehrmaligem Ansehen, ersichtlich werden. Dem puren Spaß am Leben und der Verwirklichung seiner Ziele gilt schlussendlich oberste Priorität – um dieser gewichtigen Aussage Leben zu verleihen bediente sich Jim Sharman aller nur denkbaren Zutaten aus Film, Geschichte und Fantasie.

Und genau dieses aberwitzige Sammelsurium, in Verbindung mit der bis heute kaum weniger verstörenden, unorthodoxen Erzählweise, ist die Erklärung dafür, warum „The Rocky Horror Picture Show“ wohl auch in den nächsten Jahrzehnten die Filmfans spalten wird. Die einen erfreut es, die anderen gruselt es eben. Aber die meisten werden wohl sagen: „Let‘s do the time warp again!“

[Wertung]

The-Duke: 5 out of 5 stars (5 / 5)

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