Einleitung:

Vier deutsche Jungregisseure und Drehbuchautoren (Jan-Christoph Glaser, Sven Taddicken, Carsten Ludwig, Jakob Ziemnicki) hatten einst & jüngst die Idee, gemeinsam ein Filmprojekt zu verwirklichen. Innerhalb des Konzeptes ging es darum, das am Ende drei Episoden bei rauskommen, die sich mehr oder minder „passungs- und deckungsgleich“ bzw. harmonisierend ineinander fügen und miteinander verquicken lassen – so das am Ende ein halbwegs kohärentes Ganzes – das nicht unbedingt wahllos zusammengesetzt wirkt – bei rauskommt. Und tatsächlich ist den Regisseuren dies gelungen. Sowohl inhaltlich, als auch inszenatorisch weiß „1. Mai – Helden bei der Arbeit“ unterhaltsam zu überzeugen. Der Film beginnt eher schwächlich, wird aber mit der Zeit immer besser und gewinnt immer mehr an Fahrtwind. Ob voraussehbar oder nicht, die einzelnen Handlungsstränge fügen sich gut zusammen und ergeben einen abendfüllenden Spielfilm, den man sich durchaus visuell einverleiben kann…

Inhaltsangabe:

Ein elfjähriger Türke, zwei Jugendliche aus der Kleinstadt und ein gehörnter Provinzpolizist: Sie alle verschlägt es am 1. Mai nach Berlin-Kreuzberg – wo wie jedes Jahr die Emotionen hoch kochen. Der junge Türke Yavuz (Cemal Subasi) will erwachsen werden, seine Männlichkeit beweisen und zum ersten Mal mit seinem Bruder (Oktay Özdemir) am 1. Mai losziehen. Auf seinem Streifzug durch das anbrechende Chaos lernt Yavuz den Altlinken Harry (Peter Kurth) kennen, mit dem er eine Straßenbarrikade errichtet, um so der allgegenwärtigen Polizeigewalt zu trotzen. Für Harry ist dies der Höhepunkt des Protestes – für Yavuz ist es erst der Anfang…Provinzpolizist Uwe (Benjamin Höppner), mit seinen Kollegen zur Demo am 1. Mai in Berlin abgestellt, hat ganz andere Sorgen. Er kann an nichts denken, außer daran, dass ihn seine Frau seit Monaten mit dem Metzgersohn betrügt. Deeskalation ist eine schöne Idee, der Tipp der Kollegen, sich in einem polizeifreundlichen Puff auf andere Gedanken bringen zu lassen, auch. Trotzdem verläuft die Nacht der Nächte für Uwe anders als gedacht. Jacob (Jacob Matschenz) und Pelle (Ludwig Trepte), zwei gutbürgerliche Kleinstadtkids, machen auf Krawalltouristen und fahren nach Berlin in der Hoffnung auf Randale. Doch als sie scheinbar ziellos zwischen Touri-Programm, dem besten Dönerladen Berlins und dem Demonstrationszug des schwarzen Blocks driften, müssen sie selber etwas Action in Gang bringen, um ihrer halbstarken Wut Luft zu machen. Das Ende des Tages führt sie zusammen: ins Urban Krankenhaus Kreuzberg (Quelle der Inhaltsangabe: http://www.myspace.com/erstermai).

Kritik:

Inhaltlich erzählen die einzelnen Episoden nichts wirklich Fantastisches oder Innovatives, sondern die Handlungen sind eher banaler und trivialer Natur. Das macht aber nichts, denn durch die möglichst authentischen Bilder und die unkonventionellen Dialoge (die auch die psychischen Defekte einiger Figuren gut ausdrücken) wird der Mangel an Plot-Innovationen ausgeglichen und bereinigt. Außerdem schaut man ja auch mal gerne Klischeehaftes und schon tausendmal Gesehenes. Es muss ja nicht immer der Burner, Kracher und Knüller sein, der dem aktiven Rezipienten einen filmischen Orgasmus beschert. Zumal sich grade und insbesondere Klischees ja auch so oft im Alltag bewahrheiten…

Die Dramaturgie innerhalb des simplen Plots funktioniert gut, jedenfalls am Ende. Weder ist diese zu überladen, noch zu unterbelichtet – sondern man hat hier wirklich den Eindruck, dass genau das richtige „goldene“ Mittelmaß gefunden wurde, d.h. die Dramatik kann etwas schockieren, zum Nachdenken bringen, sie ist frappierend an manchen Stellen, kommt ungeahnt und enthält ansprechende und nachvollziehbare Emotionalität. All diese Kriterien sind hier gegeben, zwar nicht in allen drei Episoden, aber doch in einem ausreichenden Maß.

Natürlich spielt hier auch die Schauspielleistung der Darsteller innerhalb ihrer Rollen eine eminente Rolle. So wissen alle Individuen in ihren Rollen fast ausnahmslos, je nach subjektivem Modus operandi glaubwürdig zu überzeugen. Hervorzuheben ist vor allem die Performance der drei Jungster (Jacob Matschenz, Ludwig Trepte und vor allem Oktay Özdemir), die alle anderen etwas in den Schatten stellt, wobei hintendrein gleich die Leistung von Benjamin Höppner als Provinzbulle mit Lebenskrise zu nennen und anzuerkennen ist. Matschenz spielt seinen milchgesichtigen Charakter voller Durst nach Coolness, innerlich zerrissen und voller Wut, Ärger, Orientierungslosigkeit, Klischeehaftigkeit und Pseudomännlichkeit sehr intensiv. Erst am Ende, wo die Spannungskurve und die Dramatik quasi ihren Höhepunkt erreicht, erfährt der Zuschauer ein dunkles Geheimnis seinerseits und kann sich dadurch sein merkwürdiges und aufgebrachtes Verhalten vorher erklären. Das war ein guter Kniff in der Storyline, der seine Wirkung nicht verfehlt (Die Szene erinnert aber stark an amerikanische Jugend-Dramen – vor allem die von Gus Van Sant und Larry Clark (z.B. Ken Park)). Ludwig Trepte steht ihm bei all dem als treuer Freund zur Seite, der gewissermaßen die „Stimme der Vernunft“ darstellt. Pelle besitzt einen moralisch-ethisch höheren Maßstab als Jacob und weist diesen immer wieder zu Recht. Jacob neigt eher dazu, mal eben schnell Schranken und Grenzen zu durchbrechen und spielt so den Part des Getriebenen, der sich von seinen innersten, verwerflichsten Trieben (inklusive Todessehnsucht – Tanathos also) in seinem Denken und Handeln anleiten lässt. Beide sind also charakterlich sehr konträr und das ergibt eine immer wieder brisante Mischung, wenn beide aufeinander prallen und Wortgefechte ausfechten müssen…

Diese Episode der beiden Bengels steht irgendwie im Mittelpunkt des ganzen Geschehens. Die beiden anderen Episoden sind dagegen schon allein von der Intensität und Qualität der Erzählungen randständiger und weniger attraktiv zum Sehen – fügen sich aber dennoch ganz passabel ein und sind auch nicht unsehenswert oder unspannend. Schon allein die Kinderschauspielleistung von Cemal Subasi als Yavuz ist beachtlich und trägt viel zum Gelingen seiner Episode mitsamt Oktay Özdemirs (Schwarze Schafe) wieder einmal sehr solider Leistung bei.

Das ganze Seherlebnis bereitet schon Vergnügen insgesamt, so kann man doch zwischen den Zeilen auch wieder einmal viel Gesellschaftskritik an der Jugend heraus lesen. Andererseits muss man dies auch nicht tun, sondern man kann die Geschehnisse auch interpretieren als wichtige Entwicklungsschritte von jungen Leuten (in zwei Episoden) in Richtung „Coming of Age“ resp. dem Erwachsenwerden. Manche Erfahrungen, die im Film gezeigt werden, scheinen dazu einfach nötig zu sein – andere natürlich nicht – vor allem diejenigen nicht, die mit Psychopathie, Abgestumpftheit, Stumpfsinnigkeit und Mordlust zu tun haben). Die Protagonisten jedenfalls wachsen an ihnen – soviel sei mal sicher – und werden diese nicht mehr vergessen, insofern sie nicht fiktiv währen, sondern Realität. Obwohl: Auch die Schauspieler in ihren Rollen, selbst wenn sie eben nur Schauspieler sind, wachsen ja in die Rollen hinein, übernehmen sozusagen eine andere Identität als ihre Alltägliche und machen somit Erfahrungen, die sie ohne die gespielte Rolle vielleicht niemals gemacht hätten – also werden diese ihre Rollen wohl auch nicht vergessen…Na egal, genug dieser Philosophiererei über das Dasein als Schauspieler.

Die Kulisse und der Hintergrund des 1. Mais in Berlin dienen dabei als perfekter Schauplatz und als passender Rahmen für die Handlungen. Anfänglich noch träge und schwermütig daher kommend, explodieren sozusagen schon bald die Bomben und der Rahmen entfaltet sich zu vollem Glanze. Da die Szenen hier sozusagen live veritabel gedreht worden sind, in mitten des echten 1. Mai Festes in Kreuzberg, liefern die Kameramänner und Filmteams hier wunderbare Bilder ab. Dabei wird auch nicht heroisiert oder stilisiert, einzig und allein dient alles einer quasi Erlebnis-Projektionsfläche für die Protagonisten, um sich entfalten zu können.

Fazit

Die Ideen in diesem Experimental- bzw. Kunst-Episodenfilm sind gut und werden auch anständig in Szene gesetzt. Die Rahmenhandlungen bieten nicht viel Neues, aber sind trotzdem unterhaltsam inszeniert und die Probleme die innerhalb derer angesprochen werden sind sowieso zeitlos – also immer wieder ausschlacht- und darstellbar. Wenn man nun die richtigen Hintergrundinfos hat, wie und wo – also unter welchen Bedingungen der Film gedreht und zusammengesetzt worden ist (nämlich alle 3 Episoden sind circa zum selben Zeitpunkt unabhängig voneinander aufgenommen worden) – dann beeindruckt einen das Resultat noch einmal mehr, als wenn man diese Info nicht wüsste. Was hier geboten wird ist experimentelles deutsches Kino mit 3 passablen Handlungssträngen, das vor allem von der Berliner Kulisse des 1. Mai Festes und der authentischen Leistungen der Darsteller lebt und pulsiert und deshalb einigermaßen überzeugen kann. Vor allem wurde hier mal wieder eines bestätigt: Der deutsche Film lebt vom ihm charakterisierenden und prägenden Realismus! Das ist genau der Grund, warum viele ihn nicht mögen. Ein kleines Manko der DVD ist jedoch, das die Soundqualität etwas zu wünschen übrig lässt. Vor allem im ersten Teil des Filmes muss man sich manchmal etwas anstrengen, um wirklich wortwörtlich sozusagen akustisch zu verstehen, was die Charaktere sagen. Das ist aber auch nicht wirklich schlimm, denn der Sinn des Handelns und Tuns erschließt sich sowieso aus den Bildern…trotzdem ist es ein kleiner Kritikpunkt. Also es gilt als zusammenfassendes Urteil: Kann man sich angucken und ist unterhaltsam, muss man aber nicht unbedingt gesehen haben und viel bleibt im Gedächtnis auch nicht übrig vom Gesehenen…wer aber ein Fan von Berlin ist, die Schauspieler mag und obendrein auch noch gern deutsche Filme guckt, der sollte schon zugreifen in der Videothek!

[Wertung]

Gnislew: 3.5 out of 5 stars (3,5 / 5)

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