Einleitung:

Die österreichische und kontrovers diskutierte Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (geb. 1946) ist eine ganz eigene Nummer für sich. Sie schreibt anrüchig, vulgär, in hartem und heftigem Ton. Obendrein lassen sich auch viele feministische und emanzipatoriche Elemente in ihren Romanen finden. Sie liest sich etwas gewöhnungsbedürftig und quasi wie „Hochglanzporno verpackt in einen Bildungsroman“, wobei die Rolle der Frau gegenüber dem Manne immer wesentlich schlechter und benachteiligter geschildert wird. Kostprobe gefällig? In ihrem Roman „Lust“ schreibt Jelinek beispielsweise folgende, teils belustigende, teils verachtende und immer aber auch irgendwie wahrheitsgemäße Sätze wie: „Die Frau wird mit dem Stempel des Mannes jeden Tag aufs Neue entwürdigt“, „Er stopft sein Geschlecht in die Frau“, „Der Mann leert sich aus in der Frau“, „Der Mann treibt die Frau wie sein Schifferl vor seinem Schwall herum“, „Er will über die Ufer treten und sich in die Frau hineinzwängen“, „Der Mann bricht brüllend Schneisen mit seinen Geschossen in die Frau“, „Der Mann steckt der Frau zu ihrer Erleuchtung und seiner Zufriedenheit seine elektrische Leitung in den Hintern“, „Wie blind kassiert die Frau Geborgenheit von dem spuckenden Spender des Mannes der ihre Brüste melkt“, „Der Mann zieht das Geschlecht seiner Frau auseinander und stößt mit der Zunge zornig hinein. Freudig ist er ein Gott“, „Er probiert sich in immer neuen Stellungen aus, in denen er mit mächtigen Tritten seinen Karren ins nüchterne Gewässer seiner Frau stößt!“ Ähnliches wie dieses und doch etwas ganz anderes erwartet den gespannten Zuschauer nun bei Michael Hanekes (Cache, Funny Games, Funny Games U.S., Bennys Video) Literaturverfilmung aus dem Jahre 2001, die natürlich viel mehr mit Bildern, als mit Wörtern arbeitet…

Inhaltsangabe:

Erika Kohut (Isabelle Huppert), ihres Zeichens Professorin für das Klavierspiel in der Meisterklasse am Konservatorium in Wien lebt innerhalb ihres „mittleren Alters“ immer noch gemeinsam mit ihrer Mutter (herrlich gehässig und absolut nervtötend, hasserzeugend und unter Kontrollwahn leidend: Annie Giradot (Rocco und seine Brüder (1960), Cache (2005)) in einer Wohnung. Neben der problematischen Beziehung zwischen Mutter und Tochter – vor allem nach dem Tod des Vaters – hat Erika etliche andere Probleme (z.B. sexuelle Frustration), Sorgen, Ängste, Nöte und Sehnsüchte (nach sexuellen Perversionen) am Backen. Als Sie jedoch den post-adoleszenten, charmanten, hübschen und gebildeten Jungen und Studenten Walter Klemmer (Benoit Magimel) kennen lernt und dieser alles dafür tut, um ihr zu gefallen und keine Mühen scheut, um bei ihr Schüler am Konservatorium zu werden, scheint sich ihr Leben einschneidend zu verändern…

Kritik:

Die Handlungsangabe ist eigentlich etwas zu kurz geraten und im Grunde müsste man noch viel mehr formulieren. In Anbetracht der Tatsache aber, dass in dieser Filmkritik im weiteren Verlauf noch einige Handlungselemente geschildert werden, ist die Kürze der Inhaltsangabe nicht mehr so sehr von Belang und zu vernachlässigen. Doch nun zum Film:

Michael Haneke ist berühmt und berüchtigt für seine eigentümliche Art des Filmemachens. Er ist ein großer Pedant und Virtuose, wenn es um Ausgefallenes geht. Wer Cache und die anderen Werke von ihm gesehen hat, der wird seine Handschrift hier bei „Die Klavierspielerin“ zweifelsohne mit Leichtigkeit wieder erkennen. Es gibt z.B. öfters Szenen, in denen sehr lange einfach auf die Gesichter drauf gehalten wird (ohne Musik nebenher, ohne Klänge), damit der Zuschauer anscheinend die emotionale Lage und den Gesichtsausdruck eindringlich und ausdeutend untersuchen kann. Dieses Stilmittel fällt bei Haneke sofort auf. Trotzdem bietet er mit seinen Kameraufnahmen eine gesunde Mischung aus Nähe und Distanz zu und zwischen den Protagonisten. Diese spielen allesamt durch die Bank weg hervorragend, allen voran Isabelle Huppert (I Heart Huckabees (2004), Geheime Staatsaffären (2005), 8 Frauen (2002)), bei deren Performanz niemand den Eindruck haben wird, das Sie ihre Rolle schauspielert. Aber auch der damals noch prächtige und aufblühende Jungdarsteller Benoit Magimel (Hass – La Haine (1995), Sky Fighters (2005)) weiß innerhalb seiner durchaus schwierig zu schauspielernden Rolle Akzente zu setzen und zu gefallen, auch wenn seine Performance am Ende ein bisschen unglaubwürdig ausfällt, was aber auch dem Drehbuch geschuldet ist. Außerdem soll der große Showdown am Ende nun einmal so sein, wie er ist, und das Benoit Magimel hier durchaus völlig anders spielt, als wie er es vorher getan hat und mit seinen Taten und Handlungen schockiert, ist ja im Grunde ein sehr wünschenswerter Effekt. Achtung Spoiler! Trotzdem kommt seine Mutation zum gewalttätigen Vergewaltiger (über diese Bezeichnung lässt sich auch streiten – aber wir wollen es hier mal so benennen) vielleicht einen Tick zu krass. Man weiß am Ende auch nicht so genau, ob er aus dem Affekt handelte oder ob es wohlüberlegtes und geplantes Handeln von ihm gewesen ist…Spoiler Ende!

Da der Film sich im Großen und Ganzen fast gänzlich um diese beiden Charaktere dreht, bleibt zu den Nebendarstellern nicht viel zu konstatieren, außer dass diese ihre Rolle ebenfalls adäquat und solide runter rattern. Das allerinteressanteste bei diesem hochgradigen Psycho-Drama ist wieder einmal meine allseits geliebte Charakterpsychologie, die hier bei näherem Hinsehen zunächst logisch und oberflächlich ist, später aber subtiler in Erscheinung tritt und zwar mit voller Wucht, so das sich der gesamte Streifen im Grunde zu einer psychosubtilen Charakterstudie ausformt.

Doch wie schon erwähnt ist die Psychologie zunächst einfach strukturiert: Die Beziehung zwischen Tochter und Mutter ist enorm pathologisiert. Beide stecken zutiefst in einer Art Interdependenzbeziehung drin, die nicht mehr normal, sondern schon krankhaft ist. Die Mutter muss Erika ständig kontrollieren, spioniert ihr nach, lauscht und ruft ihr ständig per Telefon hinterher. Zudem muss Erika immer wieder sagen, wann Sie nach Hause kommt und was Sie so alles den lieben langen Tag lang getrieben hat. Schon die erste Szene des Films gibt diesen pathologischen Charakter und den schlimmen Kontrollwahn der Mutter wieder. Wenn die Mutter, die anscheinend sehr viel an Zeit, Ressourcen und Förderung in ihr Kind gesteckt hat, mal nicht bei einem der Konzerte aufkreuzt, scheint sie bloß in die Glotze und Röhre zu schauen…

Erika ist in allem was Sie tut sehr rigoros und diszipliniert mit sich selbst und auch mit anderen. Diese Diszipliniertheit, diese Rigorosität, Gefühllosigkeit, übertriebene Rationalität und Ausdruckslosigkeit kommt nicht von ungefähr: Die Liebe hat Erika noch nie so richtig kennen gelernt. Was Sie stattdessen in ihrer Freizeit macht, ist in Sexshops gehen und Voyeurin spielen. Außen regiert also die Hülle der Kultiviertheit in Form der ehrgeizigen und karrieregeilen Professorin, die anscheinend weiß was Sie will, aber innen und außerhalb dieses professoralen Habitus, wird Erika von paraphilen sexuellen Sehnsüchten und Libido-Trieben in ihrem Verhalten angetrieben, weil Sie ihre Sexualität noch niemals richtig hat ausleben können. Sie schnuppert im Sexshop an den mit Sperma benetzten und benutzten Taschentüchern von Männern, die vor ihr in der Pornokabine waren oder Sie pinkelt auf den Asphalt im Autokino, als Sie gerade mal wieder ein Pärchen beim Sex beobachtet hatte. Während man im Pornokino nur ein relativ geringes Lächeln und Vergnügen auf Erikas Lippen und ihrem Gesicht beobachten kann, ist dies in der Autokino-Voyeurismus-Szene nicht der Fall: Hier stößt und artikuliert Sie eindeutig sexuelle Erregung durch die/ihre Perversion(en) aus. Nun kommt ihr der Junge grade gelegen, denkt Sie sich: Auf so einen hat Sie die ganze Zeit lang gewartet und jetzt sei der richtige Zeitpunkt gekommen. Doch da täuscht Sie sich, denn als Walter von alle dem und den psychischen Paraphilien per Brief erfährt, ist er mehr erschreckt und wütend – als begeistert davon. Er will ihre Spielchen nicht mitspielen und flippt irgendwann regelrecht aus…woraufhin Erika mit Inzestversuchen bei ihrer Mutter landen möchte…Erika ist der Inbegriff der Perversion!

Der Hintergrund dessen ist der Sadomasochismus und sexuelle Sadismus von Professor Kohut, der sich durch die verschiedenen Ursachen gebildet hat. Erika ist nicht in der Lage auf andere zuzugehen oder Gefühle zu offenbaren oder überhaupt welche zu empfinden…scheinbar. Sie unterdrückt diese und gibt sich als reine Rationalistin. Dass man das nicht sein kann, sondern das Gefühle und die Ratio untrennbar miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig bedingen, scheint Erika nicht zu wissen oder zu interessieren. Ähnlich, aber doch ganz anders versucht der Film im Vergleich mit dem ebenfalls grandiosen „Verfolgt“ (2006) der Entstehung des Sadomasochismus und perverser Tendenzen auf den Grund zu gehen, was Haneke mit seiner Bildersprache meisterlich mit einigen skandalösen Momenten gelingt. Der Film stellt somit eine glanzvolle Charakterstudie dar, in deren Verlauf die Psyche der Erika Kohut auf faszinierende Weise seziert wird.

Fazit:

Für Fans von BDSM und anderen Rollenspielchen, für Psychologiestudenten, Psychoanalytiker, überhaupt für Fans von Psycho-Filmen und auch alle anderen ist der Film ein absolut guter Tipp (fast ein Muss) und super sehenswert – insofern man bereit ist sich abseits von Hollywood und dem filmischen Mainstream mal wirklich was experimentelles und Kunstfilmhaftes zu geben. Es ist allerdings kein Film, bei dem man sich amüsieren kann oder der einen bestens unterhält und bei dem man mit warmen und positiven Emotionen den Film wieder verlässt, wenn er vorbei ist – sondern es ist ein knallhartes Drama, das sehr ernste Töne anschlägt und sehr tiefgründig hinab steigt in die Probleme der Erika Kohut…es gibt Skandalszenen, es gibt Ruhe und Langsamkeit der Bilder, es gibt Perversion und hochkarätige Dialoge, viel Klaviermusik (der Score ist genial!), man bekommt die Abläufe und Interna von Konservatorien etwas zu Gesicht und tolle Schauspielleistungen zwischen einem Jungen und einer mittelalten Dame, die versuchen eine Liebesbeziehung aufzubauen – der doch zu viel – vor allem von Erikas Seite aus im Weg steht, die letztlich zum Scheitern verurteilt ist und in einem schockierenden Showdown gipfelt…Es gäbe jetzt hier zur Analyse des Films noch soviel zu sagen, denn berührt er so viele psychologische Aspekte, doch würde das hier den Rahmen der Filmkritik sprengen…
[Wertung]

Huckabee: 4.5 out of 5 stars (4,5 / 5)

Lass ein paar Worte da:

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.