Der japanische Fotograf Nabuyoshi Araki ist kein stiller Genießer: er ist ein herausforderndes Phänomen. Mit etwa 300 veröffentlichten Bildbänden einer der produktivsten Fotografen der Welt, kann Araki auf ein breit gefächertes Oeuvre verweisen. Doch seinen Ruf verdankt er seinen erotischen Fotografien. Araki provoziert, überschreitet Grenzen und setzt seine eigenen Maßstäbe des Ästhetischen. 

„Arakimentari“ folgt dem Fotografen einen Monat lang durch Tokio: bei Fotoshootings, beim Karaoke im berüchtigten Shinjuku-Bezirk Tokios, beim nostalgischen Präsentieren von bislang unveröffentlichten Bildern seiner Anfangszeit. In den zahlreichen Interviews des Films erzählen Takeshi Kitano (Schauspieler), Björk (Sängerin), Daido Moriyama, und viele seiner Models und Freunde von ihrem Zugang zum Werk eines Fotografen, der Japan polarisiert wie kein Zweiter. (Verlagsinfo)

Filminfos

  • O-Titel: Arakimentari (JP 2004)
  • Dt. Vertrieb: Rapid Eye Movies
  • DVD Erscheinungstermin: 24. Februar 2006
  • ASIN: B000CR5S6W
  • FSK: ab 16
  • Länge: ca. 75 Min.
  • Regisseur: Travis Klose
  • Musik: DJ Krush
  • Darsteller: Araki, Nobuyoshi Araki u.a.

Inhalte

Im Mittelpunkt dieser Personality-Doku steht natürlich nur ein Mann: Araki, Japans bekanntester Fotograf, der mit über 350 (hier widerspricht Araki der obigen Verlagsinfo) veröffentlichten Bildbänden das Genre geprägt hat wie kein anderer. Und damit natürlich auch Anstoß erregt hat. Sagt beispielsweise Richard Kern, ein amerikanischer Berufskollege, vor ein paar Jahr hätte man kein Schamhaar ablichten dürften, denn das wurde sofort zensiert. Es wurden kleine schwarze Dreiecke über die strategisch wichtigen Körperregionen gedruckt. Dann wurde Araki verhaftet, es kam zum Prozess und Freispruch, das Gesetz wurde geändert.

An diesem Tag hat Araki eine leichte Fotosession. Eine japanische Hausfrau legt und stellt sich in Pose, und Araki macht eine Softporno-Fotostrecke daraus. Es ist jedoch seine Persönlichkeit, die die Session an keinem Punkt peinlich werden lässt. Vielmehr verhält er sich wie ein gentleman alter Schule, der den Frauen Respekt und Zuneigung entgegenbringt und sie entsprechend behandelt. Die Atmosphäre entspannt sich, auch wenn Araki hier und da ein paar Schamhärchen zurecht streicht.

Ein Gentleman? Nein, „er ist ein Monster“, ein „verdorbener Onkel“, er ist „schüchtern“, sagen die Models. Und dabei ist er verheiratet! Die Sängerin Björk, mit der Araki gearbeitet hat, sieht das wesentlich differenzierter. Aber das haben die Angestellten des Wiener Museums, in dem Arakis Fotos 1997 ausgestellt wurden („Arakinema“) wohl nicht gehört: Sie gingen aus Protest gegen die Schweinigeleien des Japaners in den Streik.

Und tatsächlich könnte man sich an einer Fotostrecke von gefesselten und in die Luft gehängten, halb nackten Mädchen wohl stoßen. Auch die Nahaufnahmen von geschlossenen wie geöffneten Vaginen sind nicht jedermanns Geschmack. Und schon gar die wilden Szenen, die auf Aufnahmen aus den Achtzigern zu sehen sind.

Die Wurzeln

Doch um zu verstehen, wie aus dem braven Angestellten Anfang der Sechziger ein weltbekannter Erotikfotograf wurde, muss man natürlich zu den Anfängen zurückgehen. In den sechziger Jahren find Herr Araki an, in seinen Arbeitspausen Fotos zu schießen. Beeinflusst vom italienischen Neorealismus begab er sich in die Arbeiterviertel der Innenstadt von Tokio und nahm dort die Rangeleien und Kämpfe der Jungs auf der Straße auf (keine Mädchen). 

Dann begab er sich auf eine „sentimental journey“, wie das Laurence Sterne im 18. Jahrhundert tat: Er fuhr mit seinem liebsten Modell Yoko aufs Land hinaus und lichtete sie in ziemlich unglamourösen Posen ab: in kahlen Zimmern, schlafend auf einem Boot usw. Aus dem Trip wurde eine Ehe, aus dem Fotoergebnis Arakis „erste und bekannteste Profi-Arbeit“, wie er sagt.

Eine Fotografenkollegin stellt seine Arbeiten in die Nachfolge von Japans brühmtestem Holzschnitzer und Maler: Hokusai. Und in die Tradition der Shunga: erotische Holzschnitte, auf denen Paare mit überdimensionalen Genitalien Verkehr haben. „Araki ist wohl deshalb so gut, weil sie ihm so viel Spaß“, vermutet Takeshi Kitano, der Schauspieler. Araki gibt zu bedenken, dass jedes Foto die Zeit einfriert und somit dokumentiert. Daher sind viele Fotos aus einem Impuls heraus geschossen worden: Fotos von Wolken, von Landschaften, aber auch von Liebespaaren beim Akt: „Liebeszeit“ ist ihm ebenso wichtig „Japanische Gesichter“, also Porträts. Kunst und Kommerz (Porno) gehen bei ihm Hand in Hand, es gibt keine Abgrenzung. Deshalb brachte er das Zensurgesetz zu Fall.

Zu ernsteren Themen

Als Japan den Krieg verlor, war Araki fünf Jahre alt. Die Pilzwolken über Hiroshima und Nagasaki warfen einen langen Schatten. Zum Jahrestag des Bombenabwurfs stellt Araki eine Serie mit dem Titel „Hitze – Entwicklung“ (wobei „Entwicklung“ auch ein fotografischer Fachausdruck ist) her. Die Bilder sehr überbelichtet aus, wie bei einer Solarisation, doch die Paare darauf scheinen von Strahlung erfasst und aufgelöst zu werden. Keine Farben, nur Schwarz und Weiß.

Eros und Tod – zwei der wichtigsten Themen, die Araki verfolgt. Das sagt der stark geschminkte und Zigarette rauchende Leiter einer Buto-Tantgruppe. Buto ist Ausdruckstanz, ohne traditionelle Masken wie im Nô- oder Kabuki-Theater, sondern nur mit einfachen, ländlichen Gewändern. Aber im Gesicht total weiß geschminkt, um die Individualität zu verbergen. 

Woher diese Verbindung? „In meiner Jugend lebte ich in Tokio in einem Viertel, das gleich neben dem Nuttenviertel Yoshiwara lag. Und gleich neben den Bordellen lag ein Friedhof. Starb eine der Prostituierten, wurde sie ohne Zeremonie und Grabzeichen dort in ein Loch gelegt und praktisch vergraben.“ Fotos sind oft das letzte Lebenszeichen, das einzige Andenken an so eine niedere Existenz. 

Als seine Frau Yoko Ende 1989, Anfang 1990 im Sterben lag, fotografierte Araki auch Wolken – sehr flüchtige Erscheinungen, die er festhielt. Als Yoko von ihm ging, hielt er ihre Hand – und nahm sie auf: „Der Gipfel der Realität“, sagt er. Nach dem 26.1.1990 fotografierte er seine Katze, die durch den Schnee tollte, als wolle sie ihn auffordern, über der Trauer das Leben nicht zu vergessen. Er wollte sie auslöschen durch Aktivität. Heute sieht man ihn wieder durch Shinjuku und die Ginza laufen, mit der Kamera im Anschlag, und Straßenmädchen ansprechen…

Im Abspann gibt es ein paar Karaoke-Clips zu bewundern, Araki lacht wie eh und je. Und über allem liegt eine melancholische Version von Gershwins „Summertime“ (and the livin’ is easy…)

Die DVD

  • Technische Infos
  • Bildformate: 4:3 (Vollbild)
  • Tonformate: D in Dolby, Surround Sound
  • Sprachen: D, Englisch
  • Untertitel: D, Englisch
  • Extras:
    • Scaryoke (2:50)
    • Ginza Bars (5:10)
    • Foto Shooting Super 8 (2:30)
    • Kino-Trailer (1:30)
    • Fotogalerie (4:10)
    • Szenen = Kapitelauswahl

Mein Eindruck: die DVD

Bild und Sound sind von gutem DD 5.1-Standard, doch die Extras sind etwas gewöhnungsbedürftig. In „Scaryoke“ tritt ein homosexueller Nackedei auf, der einen auf Horrorshow macht, aber kein Wort sagt. Danach folgen Aufnahmen von Araki in den Bars des Ginza-Vergnügungsviertels. Er lacht und greift seiner Sitznachbarin in den Ausschnitt. Danch dürfen wir das x-te Fotoshooting bewundern, diesmal aufgenommen mit einer Super8-Handkamera. Am schönsten ist noch die vier Minuten währende Diaschau der Bildergalerie, die mit „Summertime“ unterlegt ist und wirklich ausgewählt schöne Motive präsentiert.

Unterm Strich

Die Künstlerbiografie vermittelt einen sehr guten Eindruck von Araki, indem sie nicht nur den Ist-Zustand seiner Arbeit in einem Querschnitt präsentiert. Sie führt auch einen chronologischen Längsschnitt aus. So ermöglicht sie dem Zuschauer zu verstehen, wie Araki zu dem bedeutenden Fotokünstler geworden ist, als der er heute gilt. Als Sahnehäubchen lotet die Doku zwei schwierige Themen aus: Eros und Tod, mithin also Religion. Sie tut allerdings eher beschreibend, als kritisierend – genau wie die ganze Dokumentation. Aber dass diese beiden Themen von einem Künstler wie Araki, der Softporno fotografiert, überhaupt behandelt wurden, könnte so manchen Zeitgenossen erstaunen.

Das Bonusmaterial enttäuschte mich ziemlich: Videoclips kenne ich zur Genüge. Lediglich die Diaschau ist das Ansehen wert, und zwar gleich mehrmals. Schon wegen der schönen Gitarre, die Gershwins „Summertime“ spielt. Ein großes Fragezeichen bildet aber der unverhältnismäßig hohe Preis von rund 23 Euro, den Rapid Eye Movies bzw. Amazon.de für diese CD verlangen.

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