„Was ist Pornografie? Jede Kultur hat eine andere Antwort. Sie wurde gefürchtet, geächtet und verbrannt: Pornografie ist ein immanenter Schatten der Geschichte menschlicher Lust. Pornografie ist Anarchie und doch durchzieht sie die Zeitalter der Menschheit als Alltagsphänomen. Die Geschichte der Pornografie ist eine Geschichte der Tabus, alle unsere Wertsysteme werden berührt, wenn nicht in Frage gestellt. 

In drei Episoden wird über Kunst, Religion und Zensur berichtet. Der Film ist eine visuell mutige Reise in die Vergangenheit und Gegenwart der Sexualität. Diese Dokumentation bietet einen amüsanten und aufregenden Blick in unsere Kulturgeschichte.“ (Verleihinformation) 

Anhand dieses akademischen Geschwalles merkt man sofort, auf welchem Niveau sich die Dokumentation selbst sieht: bei den Akademikern.

Filminfos

  • O-Titel: Die Geschichte der Pornografie (Deutschland 2008)
  • Vertrieb: Indigo / Epix
  • Veröffentlichung: 13.02.2009 [Kauf-DVD]
  • FSK: ab 16
  • Länge: ca. 84 Min. (3 Folge zu je 28 min)
  • Prod./Regisseur: Alan Smithee (Pseudonym)
  • Drehbuch: Johannes Willms (Publizist in Paris), Jan Asdonk, Holger Jancke
  • Musik: Andreas Kruse
  • Darsteller: diverse Namenlose

Teil 1: Pornografie und Religion – DER HEILIGE KERN

„Das weibliche Geschlecht als Quelle allen Lebens ist ein jahrhundertealtes heiliges Motiv. Gleichermaßen ist es als Objekt der sexuellen Begierde genau das, was Pornografie zeigt, um den Betrachter zu erregen. Ein Widerspruch? Oder haben Pornografie und Religion einen gemeinsamen, einen heiligen Kern?“ (Zitat aus dem PDF-Dokument)

In den ersten Darstellungen von Frauen wurde die Fruchtbarkeit beschworen, und die Große Mutter wurde in der Zeit vor 30.000 Jahren bis zur Bronzezeit vor 3500 Jahren mit großen Brüsten (Nährerin) und breitem Becken (Gebärerin) dargestellt. Zwischen Sex, Fortpflanzung bestand ein spiritueller, heiliger Zusammenhang, und wer Sex hatte, konnte zu einer Transzendenz gelangen. Es gab entsprechende Tempeldienerinnen, die durch Sex Zugang zu einem Gott gewährten. 

Doch in Griechenland kam es zu einer Aufteilung des weiblichen Prinzip. So war etwa die dunkle Seite der hellen Aphrodite, der Göttin von Liebe und Schönheit, die düstere Baubo, deren Namen heute praktisch vergessen ist. Wilde Frauen, genannt Mänaden, huldigten einmal im Jahr dem Dionysos, und es gab entsprechende Festspiele. Das Matriarchat war bereits abgelöst vom Patriarchat und dessen Dominanz des Phallus. Die Frau wurde zum Gefäß für die männliche Zeugungskraft herabgestuft, der Obergott war keine Frau, sondern ein Mann. Unterm römischen Patriarchat gab es zwar auch noch Frauenkulte wie die Vestalinnen, doch hier wurde auch die Pornografie erfunden: „pornos graphein“ – Huren schreiben.

Ganz anders in Indien. Als das „Kama Sutra“ im zweiten Jahrhundert  geschrieben wurde und in Tempeldarstellungen das Tantra gezeigt wurde, standen Schönheit und Ekstase (das Außersichsein) im Vordergrund. 

Das asketisch orientierte Christentum, das im 4. Jahrhundert römische Staatsreligion wurde, war körperfeindlich eingestellt. Was Lust war, wurde Sünde, was fröhlicher Sex und Zeugung war, wurde Gewalt und Tötung. Enthaltsamkeit und Keuschheit wurden Tugenden, die nur zugunsten der Ehe beendet werden durften. Sadomasochismus ist eine rein westliche Erfindung. Alle Teufelsdarstellungen zeigen das Verbotene, also Genitalien und verpönte Praktiken. 

Als die Kirche die Autorität verlor, verloren Mariendarstellungen an Bedeutung, und im Protestantismus ging der Zusammenhang zwischen Sex und Erkenntnis bzw. Transzendenz vollends verloren. Heute huldigt die Pornografie nur noch einem Gott: Mammon. 

Teil 2: Pornografie und Kunst – VERSTECKTE LUST

„Ist es nur eine Frage der Zeit und des Wandels moralischer Werte, die bestimmen, was zu Pornografie zu zählen ist und was nicht? Sind die höfischen Gemälde nackter Körper aus den vorherigen Jahrhunderten weniger pornografisch als aktuelle indizierte Abbildungen? Was macht Kunst zu Pornografie, was Pornografie zu Kunst?“ (Zitat aus dem PDF-Dokument)

In der Antike waren alle Kunstwerke poppig bunt bemalt, und erotische Darstellungen, da sie das Leben zelebrierten, überall vorhanden, auch im familiären Raum. Pornografie diente nicht bloß der Erinnerung an den göttlichen Ursprung des Sexus oder als Hymne an die Schönheit, sondern auch ganz profan als Information für Bordellbesucher: Das Etablissement zeigte an, welche Services es anbot. 

Die Sprache für Sex und Genitalien ist heute gespalten zwischen medizinischer Neutralität und obszöner Ausdrucksweise, aber es gibt heute keinen Mittelgrund dazwischen mehr, von religiöser Sprache ganz zu schweigen. Wer würde schon die Große Mutter anrufen, um ein Kind zu empfangen? Eher wird dem Hersteller der Antibabypille gehuldigt, und zwar in Gestalt von Geldscheinen. 

Dass Mäzene und Sammler in der Renaissance Nackte malen ließen, mag noch als Huldigung an die Schönheit durchgehen, aber da die Damen meist die Mätressen waren, war das auch eine Art Playboy-Vorstufe. Um 1525 kam es durch den Kupferstecher Raimondi zur ersten Welle von echten Pornodarstellungen, die reißenden Absatz fanden, und Pietro Aretino veröffentlichte 1525 das erste Pornogedicht, das vom Vatikan mit Zensur belegt wurde – er selbst fiel in Ungnade. Im 17. Jahrhundert stand wieder flämischer Naturalismus hoch im Kurs, und der Buchdruck verbreitete Darstellungen von Rembrandt & Co. am laufenden Band. Das 18. und 19. Jahrhundert erweiterten die technischen Möglichkeiten durch Farbe und schließlich sogar Bewegung: Das Kino war erfunden. Der erste Sexfilm entstand offenbar 1896. Natürlich in Paris.

Im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit (Walter Benjamin) hat sich die Pornografie endgültig von der Kunst getrennt und ihre Halbwertszeit nimmt proportional zu ihrem Warenwert ab: Ständig muss der allerneuste technische Standard darauf angewandt werden, um einen neuen Reiz zu bieten. Auch die Ästhetik ist ganz vornedran: Nahaufnahmen führen zur Dominanz des Details, so dass Darsteller unwichtig werden – sie sind nur noch Funktionsträger und als solche austauschbar. Das Internet bietet jede denkbare Variante. Der Skandal liegt nicht mehr bei der Darstellung einer Prostituierten wie 1860, sondern in einer Praxis, beispielsweise mit Kindern oder Tieren.

Teil 3: Pornografie und Zensur – DER REIZ DES VERBOTENEN

„Es gibt keinen Konsens, was Pornografie ist und was nicht und gleich gar keine universelle Regelung, wie damit umzugehen ist. Die Grenzen werden laufend verschoben: Ein Fotograf, der in den 1970er Jahren Bilder nackter Kinder bei Doktorspielen für Aufklärungsbücher machte, konnte sich auf breite Zustimmung verlassen. Heute würde er als gefährlicher Pädophiler bestraft. Sind Definitionen von Erlaubtem und Verbotenem also überhaupt möglich? Muss reglementiert werden? Wo liegen die Maßstäbe?“ (Zitat aus dem PDF-Dokument)

Wie schon erwähnt, gab es in der Antike keine Verbote von erotischen Darstellungen (sofern sie nicht den Kaiser beleidigten), doch schon das Frühchristentum machte damit Schluss, welches einen wahren Bildersturm einläutete. Ab dem 4. Jahrhundert wurden sogar Homosexuelle verbrannt. Was erlaubt oder verboten war, bestimmte der Vatikan mit seinem Index, der bis 1966 fortbestand, also anderthalb Jahrtausende. 

Daher ersannen die Künstler allerlei Methoden, um die Zensur zu umgehen. Sie ließen es etwa Leda mit dem Schwan treiben, und da biblische Motive erlaubt waren, durften es auch Lots Töchter mit ihrem Vater treiben, um die menschliche Rasse zu verbreiten. Martin Luther und andere Reformatoren brandmarkten den Papst als Große Hure Babylon. Doch in der Aufklärung rebellierten etliche Autoren gegen die Lustfeindlichkeit der Protestanten und Aufklärer, so etwa der Marquis de Sade, der eine Anti-Philosophie vertrat. Da die Kirche ihr Autoritätsmonopol in Sachen Sittlichkeit verlor, wurde die Zensur staatlich. 

1748 schrieb der Knacki John Cleland für das fürstliche Honorar von einem Pfund Sterling den berühmten Porno „Die Memoiren der Fanny Hill“, und nur weil die Zensurbehörde ein Jahr bis zum Verbot brauchte, verbreitete sich das Buch in ganz Europa. In Deutschland fiel das letzte Urteil dagegen anno 1969. 1857 wurde in England der Obscene Publication Act verabschiedet und eine Propagandaserie gegen unkeuschen Lebenswandel gestartet. Onanie wurde erfunden, Frauenbeschneidung und schließlich Psychoanalyse, von allerlei mörderischen Gerätschaften ganz zu schweigen. 

Erst Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhundert entschieden westliche Gerichte, die Zensur stark einzuschränken. Pornos verbreiteten sich rasend schnell, vielfach als Aufklärungsmaterial getarnt. „Der konsumistische Sex entstand“ (Sorgo). Heute ist Pornografie globalisiert und praktisch überall zugänglich. Muss man diesen Zugang reglementieren, etwa für Kinder? Den Menschen wird die Erregung abgenommen – was fangen sie noch miteinander an? Wird es bald den Orgasmus per Pille geben? Sex mit computergenerierten Figuren in Second Life? Ist dort Missbrauch unmöglich? Keineswegs: Dort gab es schon eine Vergewaltigung. 

Die Grenzen des Erlaubten und Verbotenen verschieben sich von Kultur zu Kultur, von Epoche zu Epoche. 

Mein Eindruck

Die Doku nimmt keinen Standpunkt ein – wie könnte sie auch? Aber in ihrem Bemühen um Neutralität  liefert jede Menge Hintergrundwissen über die Entstehung der Pornografie und ihre Loslösung von Religion und Kunst. Zwecks Erörterung der Problemfelder, die die Pornografie bietet, bieten die Macher vier „Experten“ auf, darunter drei Wissenschaftler:

  1. Prof. Werner Faulstich, Medienwissenschaft
  2. Dr. Gabriele Sorgo, Kulturhistorikerin
  3. Prof. Werner Häberle, Sexualwissenschaft
  4. Ariadne von Schirach, Autorin

Dass Pornografie sich mit Sexualität beschäftigt, rechtfertigt den Auftritt des Sexualwissenschaftlers. Dass sie heute in erster Linie über alle möglichen Medien zugänglich ist, rechtfertigt den Auftritt des Medienwissenschaftlers (Pornografie ohne Medium ist also keine?). Da die Pornografie ebenso wie die Erotik und Zensur eine Geschichte und Entwicklung hat, rechtfertigt den Auftritt der Kulturhistorikerin. 

Aber wieso tritt eine Autorin ohne jede wissenschaftlichen Meriten auf? Ariadne von Schirach trägt den Namen einer mit der Nazizeit verknüpften Familie – Baldur von Schirach war „Reichsjugendführer“. Da sie erst etwa 30 Jahre alt aussieht, kann man davon ausgehen, dass sie nicht direkt von ihm abstammt. In ihrer eleganten Aufmachung wirft sie den Pornoguckern eine ganze Reihe von lässlichen Sünden vor, darunter Konsumismus (Sex wird nicht erlebt, sondern als Ware konsumiert), eine Loslösung des Subjekts von seiner Erfahrung (quasi die „Untervögelung der Nation“) und die Vercomputerisierung des Erlebens (was man bei jedem zweiten Amokläufer feststellen kann). 

Diese Einwürfe in die Diskussion dürften bei Pornokonsumenten nur auf Unverständnis, wenn nicht sogar Hohngelächter stoßen. Sie richten sich also an eine andere Zielgruppe, nämlich ans Bildungsbürgertum, das an den Schaltstellen der politischen Entscheidungen sitzt. Bekanntlich hat bei der letzten Bundestagswahl ein Rechtsruck stattgefunden und somit ist mit restriktiveren Gesetzen gegen Pornografie zu rechnen, vorgeblich immer, um die Familie und deren Kinder zu schützen. (Laut Verfassung genießt die Familie den besonderen Schutz des Staates.) Somit kann man „Die Geschichte der Pornografie“ als Diskussionsbeitrag sehen, wenn es um den Zugang zum Internet, um Verbote von Internetinhalte, um die Kenntlichmachung von Sexualstraftätern und vieles mehr geht. 

Die Präsentation

Inhalt und Absicht mögen ja löblich sein, die Präsentationsform ist es nicht in jeder Hinsicht. Hier gingen die Macher offensichtlich Kompromisse ein. Dass sich der Regisseur und der Cutter das berüchtigte Pseudonym „Alan Smithee“ zugelegt haben, lässt nichts Gutes ahnen. Alan Smithee taucht immer dann auf, wenn er nichts mehr von seinem Machwerk wissen will. 

Die Beispiel aus der Geschichte erotischer Darstellungen in Kunst und Religion sind zahllos und fern von jeder aufreizenden Qualität. Wer nun hofft, wenigstens aus der Gegenwart ein paar scharfe Beispiele kredenzt zu bekommen, wird mit einem Clip aus dem Jahr 1896 abgespeist. Gegenwart findet zwar schon statt, allerdings in einer derart dezenten Form, dass an Pornografie nicht zu denken ist: Ein paar mehr oder weniger gut gebaute Models (genannt „Psyche“) stelzen mehr oder weniger bekleidet durch ein Hotelzimmer, und ein mehr oder weniger entkleideter Mann („Amor“) trapst durch selbiges Hotelzimmer, lässt sich auch mal sehnsüchtig vor dem verrauschten Bild des TV-Geräts nieder. Sexakte? Fehlanzeige. Es bleibt bei Streicheleinheiten à la „9 ½ Wochen“ – ich sage nur: Eiswürfel! 

Musik

Die Musik gibt dem Zuschauer, der eh schon gelangweilt ist, vollends den Rest, um ihm jedes Vergnügen auszutreiben. Die klassische Instrumentierung geht ja noch, doch das ernst dräuende Piano verleiht allen potentiell lustigen bzw. lusterregenden Bildern einen verbotenen Beigeschmack. Der Zuschauer muss denken: Moment mal, fällt diese Dokumentation etwa auch unter die Zensur ist somit Pornografie? Damit wäre genau das Gegenteil der Wirkung erreicht, die sich die Macher ursprünglich wohl vorgestellt haben.

Die DVD

Technische Infos

  • Bildformate: 16:9
  • Tonformate: Dolby Digital 2.0 (Stereo) in Deutsch
  • Sprachen: D
  • Untertitel: keine
  • Extras:
    • Epix-Trailershow
    • Die Geschichte der Pornografie (PDF-Dokument)

Mein Eindruck: die DVD

Bild und Ton sind auf dem Stand eines jeden anständigen Fernsehers, bieten also DD 2.0 Sound in Stereo. 

  1. Die Epix-Trailershow präsentiert folgende DVDs:
    1. Mitfahrer
    2. Wir
    3. (Kein) Science Fiction (deutsch)
    4. Takva – Gottesfurcht (türkisch)
    5. Noi Albinoi (isländisch)
    6. Wellenlängen – Monster Thursday
    7. The Thunderbirds (GB, 1964, Puppentrickserie)
    8. UFO (TV-Serie, 26 Episoden)
    9. Coupling (TV-Serie)
  2. Die Geschichte der Pornografie (PDF-Dokument): Dieser Text fasst die Thesen und Ausführungen der drei Teile der Dokumentation zusammen und ist mit drei Grafiken garniert, die so mit Überblendungen überfrachtet sind, dass kaum zu erkennen ist, was sie darstellen sollen. Möge ja keiner auf die Idee verfallen, hier könnte es womöglich um Sinnenlust gehen!

Unterm Strich

Dies ist Bildungsfernsehen mit Diskussionsanspruch. Jede der drei Folgen passt gerade mal in eine halbe Stunde, so dass genügend Zeit für kohlebringende Werbung bleibt, um sie zu finanzieren. Man fragt sich, welcher wagemutige Sender sich trauen würde, das Wort „Pornografie“ in sein Programm aufzunehmen? Wahrscheinliche bloß ARTE, denn die Franzosen haben bekanntlich keine Berührungsängste mit kontroversen Themen, zumal wenn sie angeblich so schlüpfrig sind wie Pornografie.

Wer einschlägige Beispiele sucht, wird im Internet eher fündig, denn alle Beispiele aus dem Genre enden im Jahr 1896. Der Regisseur, verborgen hinter dem Pseudonym „Alan Smithee“, hat noch ein paar ansehnliche Damen und einen Kerl durch dunkle Hotelzimmer schleichen lassen, um den Anschein von Erotik zu erwecken. Aber das war’s dann auch schon an erotischem Inhalt. Viertausend Jahre alte Teller konnten mich nicht gerade vom Hocker reißen, muss ich gestehen. Wahrscheinlich mangelt es mir an Kunstverständnis. 

Die Extras

Die Trailer-Clips zu den DVDs sind wesentlich witziger als der Text, der in der PDF-Datei zu finden ist.

Wertung

 Mima2016: 2 out of 5 stars (2 / 5)

Lass ein paar Worte da:

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.