Tom Cruise, unser Mann für „unmögliche Missionen“ (M:I 1 und 2), ist auch diesmal wieder auf Verbrecherhatz. Dumm nur, dass das Schicksal diesmal den Spieß umdreht und ihn zum Gejagten macht, der seinen Namen reinwaschen und den wahren Schuldigen finden muss.

„Minority Report“ ist die Kooperation zweier Hollywoodtitanen, die man sich nicht entgehen lassen sollte – nicht nur als Fan von Science Fiction Filmen. Schließlich hat es ein halbes Dutzend Jahre gedauert, bis dieser edle Streifen verwirklicht werden konnte.

Filminfos

O-Titel: Minority Report (USA 2002)
FSK: ab 12
Länge: ca. 134 Min.
Regisseur: Steven Spielberg
Drehbuch: Jon Cohen, Scott Frank
Musik: John Williams
Darsteller: Tom Cruise, Max von Sydow, Colin Farrell, Kathryn Morris, Samantha Morton, Peter Stormare u.a.

Handlung

Als John Anderton (Cruise) an einem schönen Tag im Jahr 2054 seinen Dienst bei Precrime antritt, ist die Welt noch in Ordnung. Wenn er ihn beenden wird, ist sie es nicht mehr und die Existenz von Precrime ist ernsthaft gefährdet.

Precrime macht einen guten Job: Es verhindert Verbrechen, indem es die Verbrecher dingfest macht, bevor sie überhaupt das jeweilige Verbrechen begehen können. Woher Precrime das weiß? Ineinem geheimen Raum befinden sich in einer Art Swimmingpool drei sogenannte Pre-Cogs, also Präkognitive oder Vorherwissende: zwei Männer und eine Frau. Alle tragen Namen, die an große KrimiautorInnen erinnern: Dashiell (Hammett), Arthur (Conan Doyle) und Agatha (Christie). Fehlt eigentlich nur ein Philip Marlowe…

Diesmal hat Agatha (S. Morton) ein Verbrechen aus Eifersucht vorhergesehen und erzeugt eine Warnung an die Precrime-Operationszentrale, die kein anderer als Anderton leitet. Es ist eine rote Kugel: Es wird einen Mord geben. Und darauf steht der Name des Verbrechers. Bei einem eindrucksvoll inszenierten Einsatz gelingt es Anderton und seiner Crew, einen blutigen Ausgang des Eifersuchtsdramas zu verhindern.

Aber Andertons Name steht auf der nächsten Kugel!

Bevor das Justizministerium den Pilotversuch, den Precrime in Washington, D.C., durchführt, auf das ganze Land überträgt, soll ein Justizbeamter den Ablauf usw. prüfen. Danni Witwer (Colin Farrell) ist ein smart aussehender Bursche, aber nicht auf den Kopf gefallen. Witwer wittert Unrat, als sich Anderton mit der verräterischen Kugel auf den Weg macht, recherchiert ein wenig und macht sich an die Verfolgung des Flüchtigen.

Anderton fragt verzweifelt seinen Boss, Lamar Burgess (Max von Sydow), wie es kommt, dass sein eigener Name auf einer Kugel steht. Und wer ist dieser Leo Dingsda, von dem er noch nie etwas gehört hat und den er angeblich umbringen werde? Doch sobald Anderton seinen Standort durchgegeben hat, sind ihm Witwers Mannen sofort wieder dicht auf den Fersen. Offenbar hat Burgess Anderton verraten und hängt ihn hin. Aber zu welchem Zweck?

„Everybody runs“ zitiert Anderton mehrmals, aber nun tut er genau dasselbe. Er besorgt sich ein anderes Auto, er macht seine früheren Kollegen fertig, er kann sogar Witwers Häschern entkommen (nette Stunts!), aber er wird immer à la Dr. Kimble „auf der Flucht“ sein, sofern er nicht seine Identität ablegt. Dafür müssen seine Augen dran glauben. Die lässt er sich bei einem Untergrundarzt (ein wieder mal völlig durchgeknallt aussehender Peter Stormare) ersetzen. Allerdings ist Anderton nun für etliche Stunden sehr verwundbar, nämlich praktisch blind. Doch er hat Glück: Als die Spyders, winzige mobile Aufklärungseinheiten, ihn doch noch finden, wird er falsch aufgrund seines neuen Retinamusters identifiziert.

Nun ist für Anderton der Weg frei, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen und seinen Namen reinzuwaschen. Die Spur führt zurück zu den Präkogs, doch die befinden sich bekanntlich im hermetisch abgeriegelten Precrime-Hauptquartier.

Mein Eindruck: der Film

John Anderton ist Philip Marlowe und Rick Deckard, kein Zweifel. Tom Cruise spielt eine ähnlich actionbetonte Figur wie seinerzeit Harrison Ford in Ridley Scotts „Blade Runner“, doch muss er kriminalistische Methoden anwenden, die seine Rolle in die Nähe des Superdetektivs Marlowe („Der Malteser Falke“) rücken. All diese Hintergründe werden nun in perfektionierter Weise auf eine Storyline angewendet, die der amerikanische Science Fiction Autor Philip K. Dick (gestorben 1982) in seiner Kurzgeschichte „Minority Report“ ausgetüftelt hatte. Dass es im Film etliche Unterschiede zum Plotverlauf der Story gibt, liegt in der Natur der Sache.

Aber in der Story wird die Bedeutung des Titels schon frühzeitig klar, während der Film dafür eine ganze Weile braucht. Die drei Präkogs geben jeder ein Votum ab, das über die Wahrscheinlichkeit entscheidet, mit der das vorhergesehene Verbrechen stattfinden wird. Ist das Votum nicht einstimmig, wird ein Minderheitenbericht erstellt, der begründet, warum die Meinung dieses Präkogs von der der anderen abweicht. Im Film hat diesmal Agatha dieses Minderheitenvotum abgegeben. Denn sie ist einer Manipulation der Archive auf die Spur gekommen.

Schon früh muss sich der Zuschauer mit der Vorstellung abfinden, dass Hellseherei möglich ist. Das ist zwar nicht unbedingt ein in der Science Fiction entwickeltes Konzept, aber wenn Dick es einsetzt, wird es schon Science Fiction sein, nicht wahr? Außerdem spielt dieses Konzept eine tragende Rolle im sozialen Kontext, nämlich in der Verbrechensbekämpfung. Am Schluss jedoch läuft der Plot wieder auf die uralte römische Frage hinaus: „Und wer bewacht die Wächter?“

Die MR-Welt

Sie wurden eine ganze Weile zusammen eingesperrt. Nein, die Rede ist nicht von Tom Cruise und seinem Übervater Steven Spielberg, sondern von den sogenannten Visionären und Weisen, die sich die Welt im Jahr 2054 vorstellen sollten. Mit recht ulkigen Resultaten, wie man anhand der Dokumentationen auf der Bonis-Disc erfährt. Douglas Coupland beispielsweise, der Kultautor aus Seattle/Vancouver, erfand ein paar nette Gadgets, die zunächst unauffällig wirken, aber dieser komplett erfundenen Welt eine Anmutung von Wirklichkeit verleihen.

Ansonsten finden sich Anklänge an „Total Recall“, natürlich „Blade Runner“ und andere Science Fiction-Klassiker. Die totale Überwachung jedes Individuums durch Retinaabtastung ist längst Routine und jeder Bürger erhält – wie bereits heute machbar – seine personalisierten Angebote, wenn er durch eine Einkaufspassage oder ein Vergnügungszentrum geht. VR-Kabinen statt primitiver Peppshows versetzen die Kunden in eine Rundumsimulation: Hier sehen wie Scott Frank, einen der Drehbuchautoren, wi e er sich bei einer OSCAR-verleihung für die unverdiente Ehre bedankt. Jedem seinen Traum.

Himmel und Hölle

Die Präkogs sind eine Art Engel und Orakel in einem: Engel im Sinne eines Erzengels Gabriel, der den göttlichen Willen verkündet und das Urteil vollstrecken lässt. Orakel aufgrund der Weissagungskraft. Ihre Opfer landen natürlich in der Hölle – auch John Anderton: Dies ist das Archiv der Verbrechen, ein riesiges Gewölbe, in denen in versenkbaren Säulen je drei Verbrecher in künstlichem Koma stehen.

Ihre jeweilige Akte lässt sich ohne weiteres einsehen. Als Andertons Gattin Lara (Kathryn Morris) dies tut, kommt sie dem Komplott gegen ihren Mann endlich auf die Spur. Gott – d.h. Lamar Burgess – ist ein Betrüger und Falschspieler, also eigentlich ein Teufel. Wie konnte er nur so tief fallen? Es war offenbar die Erweiterung seiner Machtfülle (Precrimes Modell wird bald landesweit eingesetzt), die ihn zur „dunklen Seite der Macht“ ver-führte.

Wie man sieht, ist die Moral in diesem Film doch fein säuberlich sortiert: hier die unschuldigen Opfer, dort die bösen Schurken. Anders als im Western tragen die Guten keine weißen Hüte, die Schurken keine schwarzen. Das Paradigma hat sich seit 1960 geändert: Nun heißt der Name des Spiels „Einer gegen alle“.

PKD lässt schön grüßen

Dick’sche Motive sind nur noch in der Polizeiwelt und den uramerikanischen Vororthäuschen zu sehen: Anderton hat ein echtes Problem damit herauszufinden, in welcher dieser gleich aussehenden Schuhschachteln sein Verbrecher denn nun gerade dabei ist zuzuschlagen. Das ist schön ironisch dargeboten.

Ebenfalls auf Dick ließe sich die Fälschung des Archivs zurückführen, die den allerersten Erfolg von Precrime belegen soll. Es handelt sich offensichtlich nicht um die Fälschung von Medien oder Material, sondern um die geänderte Inszenierung des gezeigten Verbrechens! Verdammt clever. (Das Opfer in dieser Szene ist die Mutter des Präkogs Agatha. Agatha hat also ein wichtiges Motiv, John Anderton zu helfen.)

Auch andere Bilder erweisen sich als falscher Schein: Anderton sucht ständig ein bestimmtes gesicht, das ihm in seiner eigenen Verbrechensszene zusieht. Es erweist sich als Werbeplakat, das zufällig gerade am Fenster vorbeigehievt wird. Ein sehr ironischer, fast schon makabrer Kommentar auf die Unzuverlässigkeit von Bildern und anderen Medien.

So erweist sich „Minority Report“ auf einer unter Spannungselementen versteckten Ebene als eine Kritik an heutiger Glaubigkeit an Technik, Medien, Eindeutig von Wahrnehmung und Moral, ja der gesamten Verbrechensbekämpfung, die darauf beruht. Es ist auch ein Hinweis darauf, wie groß die Chancen des Einzelnen sind, eine falsche Anklage zu widerlegen. Sie sind gleich null. Auf globaler Ebene fällt einem dazu aktuell der Irak ein. Wenn Amis und Briten sagen, Saddam habe Massenvernichtungsmittel, dann rechtfertigt dies einen völkerrechtswidrigen Krieg, egal, ob diese Anklage wahr ist oder nicht.

Die DVD

Technische Infos
Bildformate: 1:2,35, 16:9
Tonformate: DD 5.1, Dt. DTS
Sprachen: D, Engl.
Untertitel: D, Engl.
Extras auf der Bonus-CD:

  • Von der Story zum Film (Making-of):
    • The Story/The Debate
    • Die Darsteller
  • Analyse von M.Report:
    • Einleitung
    • Precrime und Precogs
    • Precogs und Visionen
    • Pyders
    • Vehikel der Zukunft in MR
  • Die Stunts von MR (3 Szeneanalysen)
  • ILM und MR (6 Szeneanalysen)
  • Final Report: Steven Spielberg & Tom Cruise
  • Archive:
    • 13 Fotogalerien* mit mehr als 200 Bildern
    • Storyboardsequenzen (mit Musik): 3 Sequenzen: Mag-Lev-Seq., „Allee-Verfolgungsjagd“ (Es handelt sich um die umfangreiche Auseinandersetzung in der Gasse zwischen Mietshäusern, nicht in einer baumbestandenen, breiten Straße (Allee); das engl. Wort „alley“ – Gasse – wurde 1:1 übertragen. Heraus kam Unsinn.), Autofabrik
    • Besetzung: Filmografien der Darsteller (Tom Cruise: 15 Seiten!)
    • Stab: Filmografien der Verantwortlichen, u.a. Spielberg (nur 9 Seiten!)
    • Trailer: A, B, C und Activision-Game-Trailer
    • Produktionsnotizen: 22 Seiten Infos über die Entstehung des Films etc., im Grunde das Gleiche wie im Making-of: inkorrekt als „Produktionsnotizen“ angegeben (daher Doublette mit den eigentlichen Produktionsnotizen)

Mein Eindruck: die DVD

Auf der Bonusdisc erhält der Filmfreund immerhin sieben Film-Dokumentationen, neun Szeneanalysen und ein Feature über die Kooperation zwischen Cruise und Spielberg. Das ganze Auswahlmenü ist eingebettet in eine futuristisch gestaltete Grafik, deren Navigierbarkeit sich erst nach einer Weile des Probierens erweist. Anders als beim „Weißen Hai“ hat Spielbergs Studio kein Making-of in Mammutgröße produziert, sondern alle Aspekte fein säuberlich aufgeteilt. Dadurch lassen sich die einzelnen Dateien leichter verwalten und womöglich auch verschicken.

Apropos Dateien: Über 200 hochauflösende Fotos aus dem Film und von den Dreharbeiten sind auf dem Silberling abgelegt. Dass auf der deutschen DVD dieser Menüpunkt mit dem irreführenden Titel „Produktionsnotizen“ versehen ist, wurde bereits oben erwähnt – offenbar handelt es sich um einen der zwei Übersetzungsfehler. Die eigentlichen Produktionsnotizen sind durchaus lesenswert (es handelt sich um Texttafeln), fassen aber im Grunde die gleichen Inhalte zusammen wie die Teile des Making-ofs. Man kann sie sich also theoretisch sparen.

Viel interessanter sind die Storyboardsequenzen zu drei wichtigen Szenen: Mag-Lev-Sequenz, „Allee-Verfolgungsjagd“ (alley: Gasse!), Autofabrik. Mag-Lev ist die Schwebebahn-Autobahn, auf der John Anderton seinem ausgefallenen Hobby des Carhopping frönt. Die Umfänge der Filmografien geben einen Hinweis darauf, wer wichtiger ist: Spielberg oder Cruise. Tom schlägt Steven mit 6 Tafeln Vorsprung!

In der obligaten Trailersammlung sticht nur der für das Activision-Game zu MP heraus: Es ist zwar für Teenies gedacht, aber dennoch auffällig brutal und gespickt mit Gewaltszenen.

Unterm Strich

Der Film an sich funktioniert sowohl als spannender, dynamischer Actionthriller als auch als auf einem langsameren Niveau, nämlich dem des detektivischen Krimis und des menschlichen Dramas (Andertons Frau lebt von ihm getrennt, und sein Ersatzvater verrät ihn). Die Spezialeffekte, die für diesen Streifen extra entwickelt wurden (und nicht zu knapp), wissen in jedem Bild zu überzeugen, so dass sie das Jahr 2054 glaubwürdig machen können.

Die DVD hat in der deutschen Fassung ein paar Schönheitsfehler. Diese falschen Übersetzungen dürften aber nur den aufmerksamsten Zeigenossen auffallen. Insgesamt hinterlässt der Silberling einen zufriedenstellenden Eindruck. An der Tatsache, dass Maestro Spielberg auch diesmal wieder die Aussage verweigert, sollte man sich nicht stören: Er hat noch nie einen Regiekommentar zu einem seienr Werke gesprochen.

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