Roberto (Roberto Darin) führt ein Eisenwarengeschäft und ist ähnlich verbohrt wie die Schrauben, die er verkauft. Ein notorischer Einzelgänger, der nichts und vor allem niemanden zu nahe an sich heran lässt. Doch dann platzt Jun (Ignacio Huang) in sein langweiliges Leben und krempelt es komplett um. Denn Jun spricht kein Wort Spanisch, ist gerade erst in Argentinien angekommen und auf die Hilfe anderer angewiesen. Widerwillig nimmt Roberto den Chinesen unter seine Fittiche, um ihm den Start in ein neues Leben zu ebnen. Und findet dabei einen Ausweg aus seinem eigenen, tristen Dasein. (cinefacts.de)

Filminfos

  • O-Titel: Un cuento chino (Argentinien / Spanien 2011)
  • Dt. Vertrieb: Ascot Elite
  • VÖ: 8.5.2012
  • EAN-Nummer: 7613059802292
  • FSK: ab 12
  • Länge: ca. 90 Min.
  • Regisseur: Sebasian Borensztein
  • Drehbuch: Sebasian Borensztein
  • Musik: Lucio Godoy
  • Darsteller: Roberto Darin, Muriel Santa Ana, Ignacio Huang, Javier Pinto  u.a.

Handlung

PROLOG

Ein idyllischer See irgendwo in Südchina. Ein Boot mit zwei Menschen darin. Jun will gerade für seine Verlobte die Ringe holen, als etwas Unerwartetes geschieht. Eine Kuh fällt vom Himmel – genau auf den Bootsteil, in dem SIE gesessen hat. Der rufende Jun sucht im Wasser nach ihr, doch sie bleibt verschwunden….

Haupthandlung

Jun wird am Flughafen von Buenos Aires ausgeraubt und aus dem Taxi gestoßen. Er fällt praktisch Roberto vor die Füße, einem mürrischen und pedantischen Eisenwarenhändler aus der Vorstadt. Roberto versucht, Jun zu helfen, indem er ihn zu der Adresse bringt, die auf Juns Arm eintätowiert ist. Doch der Onkel ist längst weitergezogen. Auch in der chinesischen Botschaft kann Jun nicht bleiben.

Wie wär’s, wenn er ihn der Polizei übergäbe? Doch der Polizist, der sein Desinteresse deutlich zeigt, will Jun, der kein Wort Spanisch spricht, bloß in eine Zelle stecken. Das findet Roberto nicht in Ordnung. Er hat nämlich ein Problem mit dem System – und versetzt dem dämlichen Cop eine Kopfnuss, die ihm die Nase bricht. Roberto und sein Gast machen, dass sie wegkommen.

Jun merkt schnell, dass in Robertos Wohnung, wo er in der Rumpelkammer schlafen darf, etwas nicht stimmt: Es ist sehr still. Roberto ist ein Einzelgänger, der für sich lebt und nicht einmal Fernsehen und Musik genießt. Die einzige Freude, die er sich gönnt, ist das Lesen von skurrilen Unglücken, insbesondere wenn sie romantisch sind. Zu Tode gekommene Liebende – wunderbar! Das Leben ist ja so absurd.

Am nächsten Tag kommt wieder mal Mari in den Laden, um ihn zu besuchen. Sie ist die unverheiratete Schwester seines Freundes Leonel, der ihm eben jene Zeitungen bringt, die Roberto so selektiv liest. Die knackige Mari vom Lande ist verliebt in Roberto, doch das einzige, was er sich ihr gegenüber erlaubt, ist eine erotische Phantasie, wie sie über ihn herfällt. Er hat den Brief, den sie ihm vor sechs Monaten schrieb, nie geöffnet, doch das würde er nie zugeben.

Nachdem auch die Suche in Chinatown ergebnislos verlaufen ist, gibt Roberto Jun sieben Tage Zeit. So lange kann er bleiben und sich nützlich machen, doch dann muss er gehen. Mari schafft es endlich, Roberto aus seinem Loch zu locken und ihn mit Jun zum Essen einzuladen. Die Vorurteile, die hier über Chinesen kursieren, sind Roberto peinlich. Jun versteht sie zum Glück nicht. Als Mari ihm Fotos von ihrem Bauernhof zeigt, verfällt er beim Anblick ihrer Lieblingskuh in Depressionen und kriegt Albträume.

Als Jun beim Putzen den Schrein, den Roberto für seine verstorbene Mutter errichtet hat – er ist voller zerbrechlicher Figuren aus Glas -, fliegt Jun raus. Just in diesem ungünstigen Augenblick schaut Mari vorbei, um Roberto die Fotos von ihrem Spaziergang mit Jun zu zeigen. Roberto ist die Selbstbeherrschung selbst. Doch Mari muss gehen.

Alles könnte wieder in seinen alten Trott verfallen, würde nicht der von Roberto verletzte Polizist seinen Widersacher im Auto neben sich entdecken, ihm folgen und ihn entführen. Ausgerechnet im Chinesenviertel. Dort wird unerwartet Jun Zeuge des Vorfalls. Er folgt den beiden auf  ein brachliegendes Grundstück, wo Roberto Schlimmes bevorsteht. Doch Jun kommt Roberto zu Hilfe, und nichts ist wie zuvor.

Roberto ist nun neugierig auf seinen Gast. Er ruft den Boten, der chinesisches Essen zustellt, an und bitte ihn, für ihn zu dolmetschen. Er will Jun unbedingt danken. Doch er bekommt viel mehr. Es ist Juns eigene Lebensgeschichte, und sie widerlegt Robertos Absurditätsphilosophie gründlich…

Mein Eindruck

Die fliegende Kuh hat es wirklich gegeben. Im Nachspann wird eine russische TV-Sendung eingeblendet, in der ein Nachrichtensprecher die Begebenheit schildert: Chinesische Viehdiebe, die flüchten mussten, warfen unterwegs ihre gestohlene Ladung aus dem Flugzeug, darunter die Kuh. Sie traf und versenkte ein japanisches Fischerboot.

Absurder Zufall oder Schicksal? In dieser Frage treffen die Welten von Roberto, dem Einsiedler, und Jun, dem Flüchtling ohne Zuhause, zusammen. Obwohl das Schicksal ihm die Braut geraubt hat, macht Jun weiter und sucht seinen Onkel, um neu anzufangen – Chinesen gibt es schließlich überall. Roberto hingegen hat mit seinem Leben bereits abgeschlossen und gibt sich keine Zukunft mehr. Der Grund dafür hat sehr viel mit der Geschichte seines Landes zu tun.

Ricardos Mutter starb bei seiner Geburt – eine Schuld, die er nicht abtragen kann, weshalb er ihr einen Schrein errichtet hat, um sie zu ehren. Jeden Tag besucht er ihr Grab. Sein Vater ist eine andere Sache. Der Vater floh im 2. Weltkrieg aus dem umkämpften Italien und schwor der Gewalt ab. Doch dann kam 1982 der Falklandkrieg und Roberto wurde eingezogen, um gegen die Briten um ein paar Felsen im Südatlantik zu kämpfen – ein Verrat an den Idealen des Vaters. Die nach Hause zurückgekehrten Besiegten wurden keineswegs als Helden aufgenommen, sondern wie Verräter behandelt. Roberto desertierte kurzerhand, nur um seinen Vater tot wiederzufinden. Kein Wunder also, dass er am System zweifelt und auf die Polizei nicht gut zu sprechen ist.

Diese Figur ist wunderbar herausgearbeitet, und Ricardo Darín, der vermutlich in seiner Heimat Argentinien sehr bekannt ist, verkörpert den Eigenbrötler mit einer manischen Ernsthaftigkeit, die der Figur die nötige Glaubwürdigkeit verleiht. Sein Gegenteil ist nicht Jun, sondern Mari, die immer noch hofft, ihn für sich zu gewinnen. Eine Art von Katalysator ist vonnöten, um die beiden zusammenzubringen. Dieser Katalysator ist Jun.

Jun glaubt trotz seines Schicksalsschlags daran, dass die Zukunft immer eine Chance bereithält (und am Ende findet sich auch sein Onkel wirklich). Als Roberto als Beweis für die Absurdität des Schicksals genau jene Episode zitiert, der Juns Braut zum Opfer fiel, ist seine Erschütterung kaum zu ermessen. „Unmöglich!“, ruft ein ums andere Mal. Denn Jun ist der Beweis, dass seine bisherige Einstellung selbst absurd ist.

Jun ist ein begnadeter zeichner, denn in seiner Heimat bemalte er Spielzeug. Als Abschiedsgeschenk hinterlässt er Roberto die Wandzeichnung einer Kuh. Fluch oder Chance? Noch vor wenigen Tagen hätte sie den Fluch verkörpert, doch nun muss Roberto an Mari und ihre Lieblingskuh denken. Er macht sich auf den Weg. Und wenn Roberto dies kann, dann kann wohl auch das von der Militärdiktatur und der Wirtschaftskrise gebeutelte Argentinien, oder?

Die DVD

Technische Infos

Mein Eindruck: die DVD

Die Qualität des Bildes ist einwandfrei – es gibt sogar eine Blu-Ray-Fassung davon. Auch beim Ton kann man nicht meckern, denn hier liegt der Standard DTS 5.1. vor, neben DD 5.1. Allerdings gibt es nur wenige Außenszenen, bei den sich dieser hohe Standard ausreizen ließe, etwa auf dem Flughafen.

Die Untertitel sollte man zuschalten, um die Namen richtig mitzubekommen. Allerdings gibt es hierbei eine merkwürdige Lücke. Der ganze Prolog, der in Mandarin-Chinesisch gesprochen wird, ist nicht untertitelt. Das ist wirklich schade, denn so gehen dem Nicht-Chinesen Juns Liebesworte an seine Verlobte verloren.

EXTRAS

  1. Making of (3:20 min): Das sehr kurze Feature macht besonders im deutschen Off-Kommentar Werbung für den Streifen. Lediglich die Schauspielerzitate von Roberto Darín und Ignacio Huang sowie die des Regisseurs liefern Hinweise darauf, worum es in dem Film wirklich geht: hier prallen zwei nicht nur zwei Lebensphilosophien aufeinander, sondern auch zwei nationale Historien.
  2. Originaltrailer (2:20 min, OmU) und Deutscher Trailer (2:10 min): Die 2 Trailer unterscheiden sich inhaltlich kaum voneinander, wenn sie Robertos skurrile Geschichte erzählen. Seltsamerweise ist der Originaltrailer mit ENGLISCHEN Untertiteln unterlegt statt mit spanischen.
  3. Trailershow
    1. Mein Wochenende mit Marilyn (sehr romantisch!)
    2. Take Shelter (Mystery)
    3. The Hunter (mit Willem Dafoe und Sam Neill)
    4. Blackthorn (ein Neo-Western um den Banditen Butch Cassidy)
    5. Red Dog (lehrreiche Tierkomödie aus Australien)
    6. Kriegerin (D)
    7. The Guard
    8. All beauty must die (mit Kirsten Dunst, Ryan Gosling und Frank Langella)

Unterm Strich

Der Titel „Chinese zum Mitnehmen“ ist doppeldeutig. Er spielt auf „Chinese take-away“ an, was ja eine allgegenwärtiges Phänomen ist. Aber diesmal ist die Wendung auch konkret gemeint: Es ist Jun, der mitgenommen werden muss. Indem sich Roberto gezwungen sieht, sich um den ausgeraubten und sprachlosen Flüchtling zu kümmern, gewinnt er einen Teil seiner eigenen Menschlichkeit wieder: Das Mitnehmen führt immer auch zu einem Zurückgeben.

Dieses Geschenk führt so weit, dass Roberto von Jun sein Leben zurückerhält, das ihm der Polizist nehmen wollte. Immer tiefer führt der Weg ins Leben und Schicksal Juns hinein, bis sich Roberto plötzlich unvermittelt auf den Kopf stellt. Das kann schon mal passieren, wenn man dem Fremden ins Antlitz blickt und das eigene Gesicht zurückschaut. Diese Umkehrung ist nicht aufdringlich vorgezeigt, sondern findet erst als konsequenter Schlusspunkt einer längeren Entwicklung statt. Nur so kann sie glaubhaft wirken.

So mancher Zuschauer wird sich auf die skurril-schrägen Momente konzentrieren, die das Aufeinandertreffen der beiden Kulturen und Charaktere generiert. Diese Momente kehrt ja auch der Trailer hervor. Dies soll in erster Linie eine Komödie sein, doch wer genau hinschaut, wird auch zwei Tragödien erblicken. Und doch kann daraus auch etwas Gutes entstehen. Das Lächeln Maris, als Roberto sie auf dem Land besucht, entschädigt für alles.

Die Botschaft ist deutlich: Argentinien soll sich nicht mehr auf seine tragische und problematische Vergangenheit konzentrieren, sondern neuen Mut im Beispiel anderer Völker finden. Die Zukunft liegt im Aufbau des eigenen Landes, verkörpert in Mari und ihrer höchst symbolischen Kuh. Kein Wunder, dass der Film in Argentinien ein Riesenerfolg war und seine Botschaft sehr positiv aufgenommen wurde. Hierzulande könnte die Botschaft allerdings ins Leere laufen, fürchte ich.

Da dies eine Komödie der (zumeist) leisen Töne ist, findet sehr wenig Action statt. Umso wichtiger ist die Entwicklung der Charaktere im Verlauf der Handlung. Manchmal erscheint Roberto als ein moderner Don Quichotte, der gegen die Windmühlen der argentinischen und chinesischen Bürokratie kämpft. Er macht sich überall unbeliebt. Na, wenn schon! Er hat ja seinen Laden, wo er weiterhin Schrauben zählen und der ungerechten Welt auf die Finger schauen kann.

Die DVD

Die Silberscheibe wartet mit einem sehr guten Sound auf, enttäuscht aber mit dem mageren Bonusmaterial: Es besteht nur aus drei Minuten werblichem Making-of. Der Rest besteht aus Trailern. Dafür gibt es einen Stern Punktabzug.

Fazit

Mima2016: 3 out of 5 stars (3 / 5)

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